Ein riesiges Forschungsfeld mit dem „Rückgrat“ GLP1-RA

Volle Pipelines bei Inkretin-(Co-)Agonisten

HANNOVER.  Die Reise geht weiter: Kardio- und Nephroschutz sind schon Realität. Aber wie ist der Stand der Forschung?

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Professor Dr. Martin Heni, Ulm, hat ein klares Bild vor Augen, wie ein ideales Adipositasmedikament beschaffen sein müsste. Mit GLP1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA) als dem „Rückgrat“ diverser Kombinationspräparate, in denen auch andere enteropankreatische Hormone (wie Glukagon und Amylin) komplementäre und/oder synergistische Potenziale entfalten, sollten Zusatzeffekte auf Komplikationen der Adipositas erzielt werden. Es dürften keine Nebenwirkungen und kein Rebound-Effekt auftreten, eine Reduktion der Fettmasse, jedoch nicht der Muskelmasse erzielt werden, und das alles bei geringen Therapiekosten, seltener Anwendung und oraler Darreichung. In puncto Nebenwirkungen und Vermeidung des Rebound-Effekts „sind wir noch sehr weit von meinem Wunsch weg“, konstatierte Prof. Heni. 

Dennoch gilt: „GLP1-Agonisten sind heute nicht mehr aus der Diabetestherapie wegzudenken“, so Professor Dr. Jochen Seufert, Freiburg i. Br. Die bereits verfügbaren Substanzen werden auch zur Organprotektion eingesetzt. Prof. Seufert erwartet durch neue, inkretinbasierte Substanzen in der Pipeline vieler Pharmakonzerne eine Ausweitung auf ganz unterschiedliche Indikationen. Gleichzeitig nimmt er an, dass 80 % der neuen Moleküle nicht auf den Markt kommen werden. Diese Einschätzung stützt Prof. Heni. Nach seiner Auflistung werden aktuell allein 138 Substanzen im Hinblick auf die Appetitregulation (Appetite suppressants) untersucht. Das Potenzial für die Blockade der Energiespeicherung (Energy storage blockers) werde bei 24 Substanzen geprüft, von 40 Substanzen werde ein erhöhter Energieverbrauch (Energy usage efficency) und von 16 Substanzen eine muskelerhaltende Wirkung (Muscle preservants) erwartet. 

Die kardiovaskuläre Sicherheit von GLP1-RA-basierten Therapien wurde bei Typ-2-Diabetes (T2DM) bestätigt, wie Professor Dr. Baptist Gallwitz, Berlin, berichtete. Auch für Personen mit Adipositas wurde dies bereits gezeigt. Für Tirzepatid werden entsprechende Daten noch in diesem Jahr erwartet. Bereits klar sei der Stellenwert von GLP1-RA in der Behandlung der Adipositas. Weitere Substanzen, inklusive Mehrfachagonisten und GLP1-/Glukagon-Doppelagonisten, werden folgen. Bei T2DM und Herzinsuffizienz (HFpEF) bzw. chronischer Nierenkrankheit haben klinische Studien bei den primären Endpunkten ebenfalls Vorteile für Semaglutid gezeigt. Dies gilt für Tirzepatid auch bei Vorliegen von Adipositas und HFpEF.
Als vielversprechend erachtet Prof. Gallwitz außerdem die Datenlage für Inkretin-(Co-)Agonisten bei einer Fettlebererkrankung. Auch für neuroprotektive Effekte von GLP1-RA gibt es Hinweise aus der Grundlagenforschung. Erste klinische Studien laufen bereits. Wesentliche offene Fragen sieht Prof. Gallwitz neben den Folgen der Langzeittherapie in der ausgeprägten Heterogenität des T2DM.

Künftig: starker Einstieg, dann Erhaltungstherapie
Prof. Heni prognostiziert für die zukünftige medikamentöse Therapie der Adipositas den Einstieg mit einem sehr wirksamen Präparat. Langfristig könnte dann der Umstieg auf eine Erhaltungstherapie mit einem weniger wirksamen Präparat möglich sein, meinte der Experte. Da sehr zeitaufwendige, „ausgefuchste Therapiepläne für jeden einzelnen Menschen mit Adipositas“ nicht möglich sein werden, stehe die interessante Aufgabe bevor, wirksame und sichere, dabei einfache und gut umsetzbare Therapieregime zu entwickeln. In dieser Hinsicht erwartet er noch viel Arbeit. 

Dr. Karin Kreuel

Diabetes Herbsttagung 2024