Retinopathiescreening in der Diabetespraxis

Künstliche Intelligenz gleicht Fundusbilder mit einer Bilddatenbank ab

Kaarst. Einer von zwei ortsansässigen Augenärzten verabschiedet sich in den verdienten Ruhestand. Der zweite ist heillos überlastet. Die stationäre Augendiagnostik liegt brach. Wie kann man in einer solchen Situation sicherstellen, dass die eigenen Patient*innen die notwendige Diagnostik erhalten?

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Weil die Zahl der Menschen mit Diabetes – und damit auch potenzielle Fälle einer diabetischen Retinopathie – kontinuierlich steigt, kann der Ruhestand eines Kollegen das eigene Arbeitsaufkommen schon mal gehörig durcheinanderbringen. Vor genau diesem Problem stand Prof. Dr. Thomas­ Haak­, Diabetes Zentrum Mergentheim. In seiner Klinik entschied man sich daher für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) für das Retinopathiescreening, und zwar für das von der FDA zugelassene EyeArt Al Eye Screening System. „Automation ist der einzige Weg, um die wachsende Zahl von Menschen mit Diabetes weltweit regelmäßig zu screenen“, erklärte er.

Das KI-basierte System mache es möglich, auch in Diabetespraxen auf die Augenerkrankung zu screenen. „Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, bei Nerven und Nieren nehmen wir solche Untersuchungen schließlich auch vor“, betonte Prof. Haak. Möglich werde dies durch eine vollautonome Plattform, deren KI in der Diabetespraxis mit nicht-invasiven Aufnahmen des Augenhintergrunds gespeist wird. Die Vision dahinter ist eine globale KI-Plattform, mithilfe derer nur jene Patient*innen herausgefiltert und überwiesen werden, in deren Aufnahmen sich Auffälligkeiten zeigen.

„Für die Untersuchung selbst braucht man eine Funduskamera, die mittlerweile sehr einfach zu bedienen ist“, erklärte der Referent. „Geschulte MFA benötigen für eine Aufnahme weniger als vier Minuten.“ Für die Betroffenen sei das Screening deutlich angenehmer als die konventionelle Netzhautdiagnostik. So sei es nicht notwendig, für die Untersuchung die Pupillen zu erweitern. Die Patient*innen können danach also unmittelbar wieder am Straßenverkehr teilnehmen.

Empfehlung in weniger als 60 Sekunden
„Sobald die Kamera ein scharfes Bild erkennt, löst sie aus“, schilderte Prof. Haak den Prozess. Anschließend wird die Aufnahme vollautomatisiert via Cloud mit einer Bilddatenbank abgeglichen. Innerhalb von weniger als 60 Sekunden spuckt das System im Verdachtsfall die Empfehlung aus, die betreffende Person an eine augenärztliche Praxis zu überweisen.

Mehrere groß angelegte Studien bescheinigten dem System eine überdurchschnittliche Performance und Überlegenheit gegenüber dem aktuellen Standardverfahren.1,2 Die US-amerkanische ophthalmologische Fachgesellschaft bewertete die KI-Plattform daher als positiv. Auch die eigenen Zahlen stimmten Prof. Haak zuversichtlich: „Je stärker die Retinopathie fortgeschritten ist, desto höher die Spezifizität der Methode. Anfangs hatten wir noch einen gewissen Anteil nicht-auswertbarer Daten, z.B. weil ein Patient einen grauen Star hatte. Wenn man diese Fälle gleich herausfiltert und zum Augenarzt schickt, steigt die Spezifität weiter.“

Prof. Haak glaubt, dass das KI-Retinopathiescreening sowohl Augenarztpraxen als auch Kostenträger erheblich entlasten könnte. Demgegenüber stehe allerdings eine initiale Investition von 22.000 Euro für das System. „Wenn es häufiger eingesetzt wird, sinken die Preise vermutlich. Dann brauchen wir auch eine eigene Vergütung für das Retinopathiescreening als dia­betologische Leistung.“

Antje Thiel

1. Bhaskaranand et al. Diabetes Technol Ther 2019; 21: 635-643; doi: 10.1089/dia.2019.0164
2. Tufail et al. Ophthalmology 2017; 124: 343-351; doi: 10.1016/j.ophtha.2016.11.014

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