Viel hilft viel
Tübingen. Diät und körperliche Bewegung können das Voranschreiten eines Prädiabetes zu einem manifesten Diabetes verhindern. Die Intensität der Maßnahmen sollte dabei abhängig vom individuellen Risiko gewählt werden.
Daten des US-amerikanischen Diabetes Prevention Program (DPP) belegen, dass Lebensstilinterventionen bei jedem*r Fünften das Voranschreiten eines Prädiabetes zum Diabetes nicht verhindern können und dass eine Normalisierung des Blutzuckerhaushalts nur in etwa 40 % der Fälle gelingt, berichtet Prof. Dr. Andreas Fritsche vom Universitätsklinikum Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung. Wie gut die Zuckerstoffwechselstörung auf Diät und Bewegung anspricht, hängt vermutlich von der individuellen Risikokonstellation der Betroffenen ab, so der Experte.
Betazelldysfunktion und NAFLD kennzeichnen den Phänotyp
Er und weitere Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass offenbar ein Hochrisiko-Phänotyp existiert, der sowohl kurz- als auch langfristig dafür sorgt, dass Lebensstilmodifikationen ins Leere laufen. Dieser Phänotyp zeichnet sich durch eine Betazelldysfunktion und/oder eine insulinresistente nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) aus und geht mit einem erhöhten kardiometabolischen Risiko einher.
Nun gingen die Forschenden mithilfe einer prospektiven Studie, an der sich acht deutsche Universitätskliniken beteiligten, der Frage nach, ob Patient*innen mit einer Hochrisikokonstellation von einer Intensivierung der Lebensstilinterventionen profitieren. Die Prediabetes Lifestyle Intervention Study (PLIS) umfasste zwei verschiedene Randomisierungskollektive: 896 Personen mit einem Hochrisiko- sowie 253 mit einem Niedrigrisiko-Prädiabetes. Die Diagnose des Prädiabetes erfolgte anhand des Nüchternblutzuckers sowie des oGTT-2-Stunden-Werts. Von einer Hochrisikosituation ging die Gruppe um Prof. Fritsche bei einer verminderten Insulinsekretion und/oder einer Insulinresistenz sowie einem erhöhten Leberfettgehalt aus.
Etwa die Hälfte der Teilnehmenden mit geringem Progressionsrisiko erhielt eine konventionelle Lebensstilintervention gemäß DPP-Protokoll: Über einen Zeitraum von einem Jahr absolvierten sie insgesamt acht Coaching-Einheiten mit individueller Diät- und Sportberatung. Alle wurden dazu angehalten, sich pro Woche drei Stunden sportlich zu betätigen. Die andere Hälfte erhielt lediglich zu Studienbeginn einmalig eine Diätberatung.
Signifikante Effekte u.a. auf Leberfettgehalt und HbA1c
Im Hochrisikokollektiv absolvierten ebenfalls 50 % der Betroffenen die beschriebene konventionelle Lebensstilintervention und bildeten damit die Kontrollgruppe. Die andere Hälfte erhielt eine intensivierte Lebensstilintervention mit 16 Coaching-Sitzungen während des einjährigen Interventionszeitraums und machte sechs Stunden Sport pro Woche.
Sowohl im Hochrisiko- als auch im Niedrigrisikokollektiv beobachtete das Forschungsteam nach einem Jahr im Interventionsarm verglichen zur Kontrollbedingung eine deutlichere Abnahme des durchschnittlichen oGTT-2-Stunden-Werts. Statistische Signifikanz bestand dabei allerdings nur bei einer Hochrisikokonstellation. In diesem Kollektiv führte die intensivierte Lebensstiländerung im Vergleich zum konventionellen Management ferner zu einer signifikant stärkeren Abnahme des Leberfettgehalts, des Körpergewichts und des BMI, der Nüchternglukose und des HbA1c, zu einer signifikanten Verbesserung der Insulinsensitivität sowie zu einer signifikant deutlicheren Abnahme des mittels Framingham-Risikoscore objektivierten Zehn-Jahres-Herz-Kreislauf-Risikos.
Im Niedrigrisikokollektiv hatte die konventionelle Lebensstilintervention dagegen lediglich signifikante Vorteile im Hinblick auf das Gewicht, den BMI und den Nüchternblutzucker. Nach drei Jahren Nachbeobachtungszeit zeigte sich: Sowohl im Niedrig- als auch im Hochrisikokollektiv hatten die Personen der jeweiligen Interventionsgruppe signifikant größere Chancen auf eine Normalisierung der Glukosetoleranz.
Beim Prädiabetes mit hohem Risiko für eine manifeste Diabeteserkrankung, so das Fazit des Studienteams, kann durch eine intensivierte Lebensstiländerung im Hinblick auf Ernährung und Sport bereits nach einem Jahr eine Verbesserung der glykämischen Kontrolle und des kardiometabolischen Outcomes erreicht werden. Personen mit geringem Diabetesrisiko scheinen dagegen bezüglich der postprandialen Blutzuckerkontrolle weniger deutlich von der Lebensstilmodifikation zu profitieren.
Dr. Judith Lorenz
Fritsche A et al. Diabetes 2021; 70: 2785-2795; doi: 10.2337/db21-0526