Ein Atlas voller Fehler
BERLIN. Als „übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel“ preist der Bundesgesundheitsminister das Portal bundes-klinik-atlas.de an. Mit wenigen Klicks könnten Patient*innen „Kliniken vergleichen und für die benötigte Behandlung in ihrer Nähe die beste Klinik finden“. Schön wär‘s, meint die DDG. Die Volkskrankheit Diabetes sei in dem unfertigen Angebot leider nur unzureichend abgebildet.
Was unterscheidet den neuen steuerfinanzierten Klinik-Atlas des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) von etablierten Suchportalen wie etwa dem „Deutschen Krankenhausverzeichnis“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) oder dem „Gesundheitsnavigator“ der AOK? Das Ministerium antwortet: „Diese Suche ist deutlich nutzerfreundlicher als vergleichbare Angebote.“ Ein wesentlicher Unterschied sei die bessere Vergleichbarkeit von Krankenhäusern. Dafür nutze man die Erfahrungen der „Weissen Liste“, die im März nach 15 Jahren zugunsten des Atlas eingestellt wurde.
Die DDG überzeugt das aber bislang nicht. Sie findet das „Bundesportal in der bestehenden Struktur für Menschen mit Diabetes nutzlos und sogar irreführend“. Anfangs zeigte das Verzeichnis des BMG bundesweit weniger als 700 Kliniken an, die Diabetes mellitus behandeln – und das häufig mit Patientenzahlen im einstelligen Bereich. „Das sind völlig unrealistische Zahlen“, erklärt DDG Präsident Prof. Dr. Andreas Fritsche. „In Deutschland werden jährlich etwa drei Millionen Menschen mit einem Diabetes in Krankenhäusern behandelt. Das Bundesportal suggeriert, dass Diabetes in deutschen Kliniken quasi gar nicht stattfindet.“
Zertifizierungen sofort in den Klinik-Atlas aufnehmen!
Eine Woche nach dem Start des Portals musste das BMG auf die vielfältigen Fehlermeldungen reagieren und die Datenbank mit einem Update korrigieren. Das führte u.a. dazu, dass man nun auch nicht mehr auf „0 Treffer“ stößt, wenn man bundesweit nach einer fachübergreifenden Diabetes-Behandlung sucht (siehe Screenshot).
Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Vorsitzender des DDG Ausschusses „Qualitätssicherung, Schulung und Weiterbildung“, betont: „In Deutschland gibt es allein rund 350 stationäre Einrichtungen mit einer DDG Zertifizierung für Diabetes Typ 1 und Typ 2 und für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms.“ Über Jahrzehnte hinweg habe die DDG dazu beigetragen, die Diabetesexpertise in Klinik und Praxis zu etablieren und auszuweiten. Diese Information sollte auch die Nutzer*innen des Klinik-Atlas erreichen, damit sie die bestmögliche Wahl treffen können.
Die Fachgesellschaft fordert daher, behandlungsrelevante Zertifizierungen, wie sie die DDG anbietet, sofort in den Klinik-Atlas aufzunehmen. Laut BMG sei dies aber nicht vor 2025 geplant. „Es ist unverständlich, warum diese wichtige Information nur kleckerweise ins Portal fließt“, bemängelt Prof. Müller-Wieland. „Bis es so weit ist, können Menschen mit Diabetes – insbesondere diejenigen mit Folge- und Begleiterkrankungen – im Klinik-Atlas keine für sie passenden Behandlungseinrichtung finden.“ Als Alternative bleibt die Suche nach zertifizierten Praxen und Kliniken auf der DDG-Homepage.
Dürftiger Auftritt schreckt Nutzer*innen ab
„Prinzipiell ist es ein gutes und wichtiges Anliegen, Patientinnen und Patienten die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser transparenter und vergleichbarer zu machen“, unterstreicht DDG Präsident Prof. Fritsche. Die unfertige Struktur des Portals berge jedoch die Gefahr, Nutzer*innen eher abzuschrecken und damit dessen Glaubwürdigkeit nachhaltig zu schädigen. Die DDG fordert daher rasche Nachbesserungen im Interesse der Betroffenen.
Auch die DKG berichtete von „ungezählten Meldungen aus Kliniken in allen Bundesländern, die falsche Angaben zu Ausstattungen, Notfallstufen und zu niedrig angegebenen Fallzahlen“ beklagten. Verwirrung gab es auch bei anderen Angaben, so die DKG: „Kliniken, die noch nie die Personalvorgaben unterschritten haben, werden im Atlas plötzlich mit einer roten Ampel dargestellt.“
Die Ad-hoc-Kommission Versorgungsstrukturen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hielt den Atlas ebenfalls derzeit nicht für vertrauenswürdig. Sie forderte das BMG auf, die Webseite als Testversion auszuweisen. Vorläufige Daten und eine mangelnde Überprüfung der Datenqualität könnten Patient*innen fehlleiten und bei Kliniken zu Schäden führen. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hatte berichtet, die in der AWMF organisierten Fachgesellschaften hätten sogar verlangt, den Atlas vorerst vom Netz zu nehmen.
Der Staat muss sachlich und richtig informieren
Staatliches Informationshandeln unterliegt dem „Gebot von Richtigkeit“, kommentierte die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Kerstin von der Decken (CDU) die vielseits beklagten Fehler im Bundes-Atlas. Die Aussage, dass der Atlas ein lernendes System sei und die Kliniken Fehler selbst melden könnten, sei „verantwortungslos“; die Nutzer*innen vertrauten auf das, was sie sehen.
Michael Reischmann