Klimawandel betrifft nicht nur die Eisbären
BERLIN. Steigende Temperaturen und immer häufigere Extremwetterereignisse infolge der Erderwärmung bergen erhebliche Gesundheitsrisiken, insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas. Die DDG Arbeitsgemeinschaft Diabetes, Umwelt & Klima hat neben gezielter Gesundheitsberatung dieser Personengruppen weitere Handlungsfelder für die Diabetologie identifiziert.
Wie dringlich das Problem ist, fasste Professor Dr. Erhard Siegel vom Diabeteszentrum am St. Josefskrankenhaus Heidelberg gleich zu Beginn der Sitzung zusammen: „Die ersten vier Monate des Jahres 2024 waren die heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir werden die Pariser Klimaziele reißen, es wird immer mehr Extremwetterereignisse geben. Das ist besonders für vulnerable Gruppen wie Menschen mit Diabetes und Adipositas kritisch. Dass diese stärker als andere unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden und auch häufiger vorzeitig sterben, sei mittlerweile durch gute Daten belegt.
Das Gesundheitssystem als CO2-Emittend
„Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie selbst durch ihren erhöhten CO2-Fußabdruck maßgeblich an dessen Verstärkung beteiligt sind“, betonte Prof. Siegel mit Blick u. a. auf Energieverbrauch und Müllaufkommen im Zusammenhang mit der Therapie. Denn immerhin ist das Gesundheitssystem weltweit für etwa 5 % des CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Innerhalb der DDG hat sich daher kürzlich die AG „Diabetes, Umwelt & Klima“ (DUK) gegründet. Sie möchte Bewusstsein für Aktivitäten im Zusammenhang mit Umwelt und Klima in der Diabetologie schaffen, ohne dadurch die Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes zu mindern, und hat Ende April 2024 ein Positionspapier veröffentlicht. Wie DUK-Sprecher Dr. Sebastian Petry, Universitätsklinikum Gießen, berichtete, werden darin vier zentrale Handlungsfelder identifiziert (s. Kasten). Diese gehen weit über die Reduzierung von Material- und Müllaufkommen in der Diabetestherapie hinaus: „Auf den vielen Müll und die verwendeten Materialien haben Menschen mit Diabetes und Diabetespraxen ja eher wenig Einfluss.“
Ärztliche Aufgabe: über den Klimawandel aufklären
Laura Schwieren, die am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf ihre Weiterbildung in der Neurochirurgie absolviert und sich in der Gruppe „Health for Future“ engagiert, betonte: „Es gibt immer noch das Narrativ, dass der Klimawandel woanders stattfindet als bei uns, dabei ist er allgegenwärtig.“ Sie verwies u. a. auf endokrine Disruptoren, die zu einer gestörten Glukosetoleranz führen können, auf die Zunahme von Allergien und Asthma infolge kleinerer Pollenpartikel, die tiefer ins Lungengewebe eindringen, und eine schlechtere Wasserqualität im Zusammenhang mit dem Anstieg der Meeresspiegel, die Erkrankungen wie Cholera oder Campylobacter-Enteritis begünstigt. Schwieren sieht es als Teil der ärztlichen Aufgabe, Menschen über den Klimawandel aufzuklären: „Unser Berufsstand genießt großes Vertrauen in der Bevölkerung – das sollten wir nutzen!“
Weniger Hitze bei Insulin: Diese Empfehlung ist zu pauschal
Dr. Benedict Lacner aus Mülheim an der Ruhr richtete den Fokus auf vulnerable Gruppen, die besonders stark durch Hitzestress gefährdet sind. Hierzu zählen Ältere, Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder, Menschen, die im Freien arbeiten oder Sport treiben und Wohnungslose. Und natürlich auch Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes. „Während einer Hitzewelle steigt die Hospitalisierungsrate von Menschen mit Diabetes, Gleiches gilt für das Mortalitätsrisiko“, warnte der Referent.
Handlungsfelder und Handlungsempfehlungen der AG Diabetes, Umwelt & Klima (DUK) Im Positionspapier der AG Diabetes, Umwelt & Klima (DUK) werden fünf Handlungsfelder definiert:
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Denn Hitzestress produziere einen Shift vom inneren zum peripheren Kreislauf, der die Insulinwirkung verstärken und damit zu vermehrten Hypoglykämien führen kann. „Die pauschale Empfehlung, bei Hitze weniger Insulin zuzuführen, ist dennoch falsch“, betonte der Diabetologe. Denn durch eine hitzebedingte Dehydratation und daraus resultierende erhöhte Osmolalität steige auch das Risiko für Hyperglykämien. Man sollte die Medikation daher individuell anpassen.
Praktische Tipps, worauf bei Hitze zu achten ist
Ganz konkret riet Dr. Lacner dazu, ein Hitzewarnsystem (etwa des Deutschen Wetterdienstes, auch als App verfügbar) zu nutzen, um vulnerable Gruppen rechtzeitig warnen und Praxisabläufe anpassen zu können. So sei es sinnvoll, bei höheren Außentemperaturen Sprechzeiten für Risikopatienten frühmorgens oder abends anzubieten, für ein kühles Raumklima in der Praxis zu sorgen, im Wartezimmer Getränke anzubieten, an Tagen mit Hitzewarnung auf besonders anstrengende diagnostische Maßnahmen wie ein Belastungs-EKG zu verzichten und bei der Diagnostik besonders auf Zeichen für eine Dehydratation zu achten.
„Es gibt auch eine Reihe von Medikamenten, die die physiologische Hitzeanpassung beeinflussen“, erklärte der Referent und nannte ACE-Hemmer und Sartane (können das Durstgefühl vermindern), psychotrope Arzneimittel (beeinträchtigen die zentrale Temperaturregulation), antimuskarinische Stoffe (können eine Hypohidrose auslösen) und Sympathikomimetika (können über kutane Vasokonstriktion die Regulation der Hautdurchblutung beeinflussen). Hilfestellung bietet hier u. a. die Heidelberger Hitze-Tabelle (zu finden unter www.dosing.de), die Arzneistoffe mit potenziellen Risiken in Hitzewellen auflistet.
Antje Thiel
Diabetes Kongress 2024