Aroma als verräterischer Marker

Die meisten hoch verarbeiteten Lebensmittel enthalten Aroma – und verleiten so dazu, sich daran zu überessen

LEIPZIG.  Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass ein häufiger Verzehr von hoch verarbeiteten Lebensmitteln (Ultra-processed Food, UPF) mit chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes in Verbindung steht.

Molecular structure of vanillin, a phenolic aldehyde that used as a flavoring agent in foods, beverages and pharmaceutical. Scientific background. 3d illustration
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Hoch verarbeitete Lebensmittel enthalten oft hohe Mengen an Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren. Deutschland ist unter den Top Ten beim Anteil der besonders hoch verarbeiteten Lebensmittel (UPF; NOVA-Klasse 4) an der Gesamtnahrungszufuhr, präsentierte PD Dr. Sabrina Schlesinger, Düsseldorf, neueste Erhebungsdaten. In einem Umbrella-Review hat ihre Arbeitsgruppe fünf publizierte Studien zusammengefasst. Das Ergebnis: Ein hoher UPF-Anteil erhöhte das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken um 74 %. Die klinische Evidenz zeige neben dem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang potenzielle Mechanismen auf. So können Veränderungen der Lebensmittel-Matrix und -Textur die Kau- und Essgeschwindigkeit erhöhen und Auswirkungen auf die Verdauung haben. 

Zu neuartigen, pflanzenbasierten Produkten („Veggie-Produkte“) seien noch keine definitiven Aussagen möglich. Derzeit unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob der Verarbeitungsgrad oder die ernährungsphysiologische Qualität das entscheidende Kriterium für die negativen Auswirkungen von Convenience-Nahrung ist. 

UPF lassen sich durch Aromen auf der Zutatenliste detektieren 
Vielen Laien fällt es schwer zu erkennen, ob ein Nahrungsmittel hoch verarbeitet und adipogen ist. Als Marker für UPF gelten kosmetische Zusatzstoffe und nicht-kulinarische Zutaten (MUP). Um das Entdecken von Zusatzstoffen zu vereinfachen, reicht es, einen MUP auf der Zutatenliste zu identifizieren, sagt Professor Dr. Matthias Faßhauer, Gießen. Als evident adipogen wurden Aromen, Süßungsmittel und Zuckerarten beschrieben, berichtete Prof. Faßhauer. Das von ihm mitent­wickelte, kostenlose und unabhängige Ernährungsprogramm „Neatic“ beschränkt sich daher auf das Aufspüren dieser drei Substanzgruppen. 

Während man Lebensmittel mit Aromen und Süßungsmitteln generell meiden sollte, gilt für „Zucker“ auf der Zutatenliste eine Begrenzung der Zufuhr. Fast 60 % aller UPF lassen sich allein durch das Wort „Aroma“ auf der Zutatenliste detektieren. Aromen lassen Lebensmittel besonders lecker schmecken und fördern dadurch „hedonisches Essen“ bis zum Überessen. Dadurch, dass Geschmack und Nährstoffe nicht zusammenpassen, werde außerdem die Geschmack-Nährstoff-Assoziation gestört. Dies trage ebenfalls zu Überessen und Übergewicht bei.

Hoch verarbeitete Lebensmittel
Hoch verarbeitete Lebensmittel (englisch Ultra-processed food, UPF) sind laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) „verzehrfertige Produkte, die durch Kombination von lebensmittelbasierten oder synthetischen Zutaten hergestellt werden. Die Zutaten sind meist nur industriell verwendete Substanzen wie hydrierte Öle, Glucose-Fructose-Sirup, Proteinisolate und Zusatzstoffe“. Diese Definition entspricht Gruppe 4 der 2010 eingeführten NOVA-Klassifikation. Identifizieren lassen sich UPF zum Beispiel mit der Produktdatenbank „Open Food Facts“ (gibt es auch als App). In der Datenbank wird auch die Verarbeitungsstufe/NOVA-Gruppe von Lebensmitteln genannt.

Weitere Informationen: de.openfoodfacts.org

„Optimieren durch Kombinieren“ – das geht auf jeden Fall, in dem man z. B. frische Tomaten auf eine Fertigpizza legt. Dieses Beispiel von Professor Dr. Thomas Skurk, Freising, entspricht den Empfehlungen des Bundeszentrums für Ernährung ebenso wie die Verwendung von Tiefkühlgemüse oder der Tipp, frische Kräuter über das Essen zu streuen. 

Beliebte Convenience-Lebensmittel „reformulieren“
Eine weitere Möglichkeit hat Prof. Skurk mit seinem Team erprobt: die Anreicherung von „ungesunden“ Produkte wie Leberkäse mit Ballaststoffen bei gleichzeitiger Fettreduktion. In einer „Enabled Pilotstudie“ konnten die Forscher*innen zeigen, dass diese Leberkäsevariante von den Testesser*innen geschmacklich akzeptiert wurde. Zwischen den Testgruppen ließen sich weder si­gnifikante Unterschiede beim Glukoseprofil noch beim Sättigungsgefühl feststellen. Ohne Verlust der Akzeptanz sei es demnach möglich, durch „Reformulierung“ eines beliebten Convenience-Lebensmittels eine deutliche Verringerung der Energiezufuhr zu erzielen.  

Dr. Karin Kreuel

Diabetes Herbsttagung 2023