„Das ist das Heizungsgesetz der Medizin“
BERLIN. Dass die Lauterbach‘sche Krankenhausreform, falls sie in der Fassung des Referentenentwurfs bleibt, für Entökonomisierung und weniger Bürokratie sorgen wird, glaubte niemand der Vortragenden beim Symposium auf dem Diabetes Kongress. Auch bei der versprochenen Qualitätssicherung blieben Zweifel. Helfen könnte es, die Strukturreform zeitlich von der Umgestaltung der Finanzierung zu trennen.
Eigentlich hätte zum Zeitpunkt des DDG Kongresses der Kabinettsentwurf des Krankenhaus-versorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) vorliegen sollen. Er kam aber erst eine Woche später, am 15. Mai. Dabei reißt die Kritik von Bundesländern, Krankenhausgesellschaft und Berufsgruppen nicht ab.
Auch der Medizinethiker Professor Dr. Giovanni Maio, Universität Freiburg, ließ beim Symposium kein gutes Haar an den Ideen des Ministeriums. Das Gesetz werde nicht erfüllen, was es verspreche. „Wir werden keine Verbesserung der Versorgung haben, sondern eine Verschlechterung.“ Die Entökonomisierung werde nicht eintreten. „Strukturen werden zerschlagen und neue aufgebaut, von denen wir nicht wissen, ob sie funktionieren werden.“
Verstehens-, Beziehungs- und Begleitungsqualität verbessern
„Wir brauchen Strukturen, die den Heilberufen ermöglichen, das Notwendige zu tun, und ein System, das bezahlt, was gemacht wird, so Prof. Maio. Schon der „Reparatur“-Gedanke sei ein Missverständnis. In der Diabetologie gehe es darum, Menschen zum Mitwirken zu ermächtigen und zu motivieren, um Verbesserungen zu erreichen. Auf die Verstehens-, Beziehungs- und Begleitungsqualität komme es an – eben Sprechende Medizin. „Diabetologie hat die Aufgabe, Menschen zu begleiten.“ Maio sprach von einer „Sorgekultur“. Um auf Menschen einzugehen, bedürfe es Zeit und Freiräume.
Der Arzt warnte vor der Zentralisierung der Krankenhäuser. Es fehlten Anreize für eine wohnortnahe Versorgung. Chronisch kranke Menschen in ländlichen Regionen würden wegen längerer Anfahrtswege Nachteile erleiden. „Das ist das Heizungsgesetz der Medizin“, spielte Maio auf die komplizierten Regelungen an. Aber noch sei es für Änderungen nicht zu spät.
Der DDG 3-Punkteplan zur Krankenhausreform „Menschen mit Diabetes dürfen durch die Reformen nicht „unter die Räder kommen‘“, schreibt die DDG in ihren Forderungen zur Krankenhausreform. Zu ihrem 3-Punkteplan führt sie u. a. aus: „Die ,Sprechende Medizin‘ muss endlich gegenüber Apparate-, Prozeduren- und Fallpauschalen-Medizin aufgewertet werden. Es ist an der Zeit, mehr Versorgung zu wagen, anstatt nur unkontrolliert Krankenhäuser zu schließen. Eine kompetente und leitliniengerechte Versorgung von Menschen mit Diabetes in der ambulanten und stationären Medizin muss angesichts von fast 9 Millionen Menschen mit Diabetes zwingend sichergestellt sein! “ Die drei DDG Forderungen lauten:
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In ähnlichem Tenor äußerten sich weitere Reder*innen. So wies die Ärztin Dr. Karin Overlack, Geschäftsführerin des Herz- und Diabeteszentrums NRW und BVKD-Vize, darauf hin, dass das Vorhaltebudget kein zusätzliches Geld für spezielle Infrastruktur beinhalte, sondern aus den DRG stamme. „Was aktuell nicht im Budget ist, ist es künftig auch nicht“, erklärte sie zur Finanzierung von Diabetesberater*innen, Ernährungsberatung, Podologie, Psychologie etc. Das Vorhaltebudget sei nichts anderes als ein leistungsgruppenindividueller Zu- bzw. Abschlag für Minder- bzw. Mehrleistungen. Steige das Leistungsniveau z. B. auf 110 % führe das zu einer um 3 % geringeren Vergütung als bisher. Sinke das Niveau auf 90 %, bleibe eine um 3,4 % höhere Vergütung als bisher.
Gibt es genug Ärzt*innen für die Leistungsgruppe Diabetologie?
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die von ihr beauftragte Vebeto GmbH plädieren dafür, die neuen BMG-Facharztvorgaben vorab einer Auswirkungsanalyse zu unterziehen. Dr. Overlack zitierte die Stellungnahme. Diese enthält das Beispiel der Leistungsgruppe Endokrinologie und Diabetologie: Die Qualitätskriterien aus dem Krankenhausplan NRW verlangen mindestens zwei Fachärzt*innen mit der Bezeichnung „Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie”.
Diabetesberatung als Qualitätskriterium verankern
Von diesen gab es laut Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2022 aber nur rund 160 im stationären Sektor. Demnach könnten maximal 80 Standorte diese Leistungsgruppe anbieten. Dr. Overlack riet, die von Prof. Lauterbach verknüpften Fäden zu entwirren: Zunächst die Strukturbereinigung – unter Beteiligung von Leuten, die sich damit auskennen. Und erst später eine Neuordnung der Klinikfinanzierung.
Mit gemeinsamer Stimme sprechen, um politisch mehr Schlagkraft zu haben. Das forderte auch die Geschäftsführerin des VDBD, Dr. Gottlobe Fabisch. Dem Verband ist bei der Klinikreform wichtig: Die Diabetesberatung muss als Qualitätskriterium für die Leistungsgruppe Endokrinologie/Diabetologie aufgenommen und in der sektorenübergreifenden Versorgung strukturell verankert werden. Die Diabetesberater*innen sind in Vorhaltepauschalen bzw. die Vergütung adäquat abzubilden. Die Versorgung von Menschen mit Diabetes sei Teamsport, doch im KHVVG fehle die multiprofessionelle Dimension.
Für die Diabetesschwerpunktpraxen ergeben sich mit der gewünschten sektorenübergreifenden Versorgung Chancen für Kooperationen, Honorarverträge und Anstellungen, zeigte die Magdeburger Diabetologin und BVND-Schatzmeisterin Antje Weichard auf. Allerdings bestehen auch Risiken – insbesondere aufgrund des geplanten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes. Den Diabetolog*innen als fallführende „Hausärzt*innen“ von komplex erkrankten Diabetespatient*innen“ drohe mit der Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung der Verlust der Versicherten- und Chronikerpauschle sowie eine abgestaffelte Vorhaltefinanzierung. Das gefährde die DSP als Rückgrat der ambulanten diabetologischen Versorgung.
Bei der Personalbemessung die Lehre berücksichtigen
Sorgen um die diabetologische Weiterbildung macht sich Dr. Jonas Laaser, Assistenzarzt in Hamburg und Sprecher der AG Nachwuchs der DDG. Er forderte diabetologische Kompetetenz in jedem Krankenhaus. Es müsse flächendeckend die Möglichkeit bestehen, gute Diabetologie kennenzulernen. Die Lehre sei im Personalbemessungstool zu berücksichtigen, Assistenzärzt*innen seien mehr als Casemanager*innen. „Wir brauchen Zeit“, unterstrich Dr. Laaser für die Ärzt*innen in Weiterbildung, „Zeit von Menschen, die uns Wissen vermitteln, und Zeit für die Patient*innen.“
DDG Präsident Prof. Dr. Andreas Fritsche, Tübingen, gelang es, die vielen kritischen Worte zur Klinikreform, positiv zu deuten. Die DDG versuche, alle an der Diabetesversorgung Beteiligten einzubinden und das Gesagte politisch einzubringen. Prof. Maio habe ein Bild von der Medizin gemalt, „wie wir sie machen wollen“. Das sei auch keine Utopie. Denn „wenn wir uns um die Patientinnen und Patienten kümmern, wird sich das auch finanziell positiv auswirken“, zeigte er sich überzeugt.
Michael Reischmann
Diabetes Kongress 2024