„Hersteller verstecken sich hinter MDR und DSGVO!“
FLORENZ. Dass sich Smartphones, Kopfhörer oder Tastaturen via Bluetooth mit Computern beliebigen Fabrikats verbinden lassen, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Wann können verschiedene Geräte in der Diabetestherapie endlich auch nahtlos zusammenarbeiten?
Wer heutzutage in der Diabetestherapie Hilfsmittel wie Glukosesensoren (CGM), Insulinpumpen oder AID-Systeme nutzt, kommt an die von den Devices generierten Daten nur über die Software des jeweiligen Herstellers heran. Und diese haben in der Regel keine offenen Schnittstellen, über die andere Anwendungen auf die Daten zugreifen können. „Dabei sind es unsere Daten, wir sollten also selbst entscheiden können, was mit ihnen geschieht und mit welchen Systemen wir sie teilen möchten“, forderte der Brite Tim Street, der seit über 30 Jahren mit Typ-1-Diabetes lebt und sich als Anwender in der Dia-betestechnik- und Looper-Szene tummelt. „Was wir wollen, ist eine All-in-One-Lösung, ein offenes Datenmodell, das sich in jegliche andere Systeme integrieren lässt.“
Silo-Denken verwaltet die Risiken, statt nützlich zu sein
Es sei zwar erfreulich zu sehen, dass es immer mehr verschiedene Systeme für die Insulinabgabe gibt, doch es fehle an Möglichkeiten, die einzelnen Elemente individuell zu kombinieren. Den Herstellern von Diabetestechnologie warf Street vor, sich hinter Regularien wie der Medical Device Directive (MDR) oder der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu verstecken. „Ein solches Silo-Denken ist darauf ausgelegt, Risiken zu verwalten anstatt Menschen mit Diabetes zu nutzen“, kritisierte der Aktivist und forderte von der Industrie: „Die technischen Standards existieren längst, machen Sie Gebrauch von ihnen.“
Datenabschottung: ein echtes Manko
Die aktuelle Datenabschottung ist auch aus klinischer Sicht ein echtes Manko, erläuterte Professor David Klonoff vom Diabetesforschungsinstitut Mills-Peninsula Medical Center im kalifornischen Mateo, denn „Interoperabilität ist in jeder Hinsicht vorteilhaft und sollte in der Diabetologie ebenso selbstverständlich sein wie in allen anderen Technologiebereichen.“
Bislang sei es aber weder möglich, CGM-Daten automatisch in die elektronische Patientenakte hochzuladen, noch sie in Labor-Infosysteme zu integrieren oder sie über das Krankenhausnetzwerk Behandlungsteams der Intensivstation zugänglich zu machen. Dabei werde längst an geeigneten technischen Standards zur Datenintegration gearbeitet, betonte Prof. Klonoff und verwies auf das iCoDE-Projekt (siehe Kasten).
CGM-Daten direkt übertragen Das Akronym iCoDE steht für „Integration of Continuous Glucose Monitoring Data into the Electronic Health Record“. An dem Projekt der Diabetes Technology Society (DTS) arbeiten 130 Expert*innen aus Industrie, Forschung und klinischer Praxis, auch Menschen mit Diabetes sind beteiligt. iCoDE umfasst Datenstandards, Kontenverknüpfung, Interoperabilität, Visualisierung, Workflow und Management für CGM-Daten. In iCoDE-2 sollen zudem Insulindosierungsdaten in die elektronische Patientenakte (Electronic Health Record, EHS) integriert werden. 2022 hat das Konsortium einen Report herausgegeben, der u. a. technische Vorlagen für Gesundheitsorganisationen enthält, die CGM-Daten in ihre EHS integrieren wollen. |
Bislang habe die amerikanische Zulassungsbehörde FDA keine verbindlichen Standards für Interoperabilität bei Medizinprodukten definiert. Doch dies könnte sich in Zukunft ändern. Denn mit der Office of the National Coordinator for Health Information Technology (ONC), einer dem US-Gesundheitsministerium untergeordneten Behörde, dränge die amerikanische Regierung derzeit auf eine bessere Interoperabilität und Transparenz von Algorithmen.
Und auch der Rat der Europäischen Union habe erst kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das sich auch auf die Interoperabilität von Gesundheitsinformationen auswirken werde. „Wenn Unternehmen Anwendern keinen Zugang zu ihren eigenen Daten gewähren, werden die Regulierungsbehörden sie bald dazu zwingen“, prophezeite Prof. Klonoff.
Antje Thiel / Helga Vollmer
ATTD 2024