Mit weniger Kilos zur Remission
Düsseldorf. Wer einen Typ-2-Diabetes hat, sollte abnehmen – das ist kein wirklich neues Konzept. Doch es bekommt aufgrund der mittlerweile verfügbaren gewichtsreduzierenden Therapien neue Bedeutung. Aus der gewichtszentrierten Versorgung bei adipositasassoziiertem Typ-2-Diabetes ergibt sich ein ganz
neuer Behandlungsalgorithmus.
Professorin Dr. Ildiko Lingvay von der Universität von Texas in Dallas ist sich sicher: „Die Behandlung der Adipositas ist die Zukunft der Diabetestherapie.“ Dahinter steckt ein wirksamer und holistischer Ansatz für die Mehrheit der Menschen mit Typ-2-Diabetes, deren Stoffwechsel infolge eines zu hohen Körpergewichts aus dem Lot geraten ist. Die Gewichtsreduktion wirke auf die Pathophysiologie ein, verlangsame den Krankheitsverlauf oder kehre ihn sogar um, sagte sie, „denn die Insulinresistenz ist bei diesen Menschen der Haupt-Krankheitstreiber“. Diabetes- wie adipositasassoziierte Komorbiditäten ließen sich verhindern oder zumindest günstig beeinflussen.
Bariatrische Chirurgie nur als Ultima Ratio erwägen
Die gewichtszentrierte Therapie ist nach diesem Algorithmus bei adipositasassoziiertem Typ-2-Diabetes unabhängig vom HbA1c oder Nüchternblutzucker indiziert. Das Therapieziel ist ehrgeizig, aber lohnend: „Eine Gewichtsreduktion von 15 % ermöglicht den meisten Patient*innen eine Diabetes-Remission“, betonte Prof. Lingvay. Mindestens zu fordern sei eine 10%ige Gewichtsabnahme.
Im ersten Schritt kommen dabei Lebensstilinterventionen und Pharmaka zur Gewichtsreduktion wie Orlistat, Bupropion/Naltrexon, Liraglutid (3,0 mg) und Semaglutid (2,4 mg) zum Einsatz. Reicht das nicht aus, kann ein Wechsel der Medikation oder eine Kombination von gewichtsreduzierenden Medikamenten erwogen werden. Wenn das alles nichts hilft, ist die bariatrische Chirurgie zu erwägen.
Der HbA1c-Wert wird zwar nicht gänzlich außer Acht gelassen, die blutzuckersenkende Therapie sollte aber besonders die Wirkstoffe berücksichtigen, für die ein gewichtsreduzierender Effekt nachgewiesen wurde, also Metformin, SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i) und GLP1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA). Das neue Behandlungsparadigma erfordere radikales Umdenken, meinte Prof. Lingvay, „und natürlich beginnt alles mit informierten Patient*innen“. Entsprechend müssten jetzt alle Beteiligten fortgebildet werden, Leitlinien den neuen Ansatz implementieren, und der Zugang für die Betroffenen müsse ermöglicht werden. Die Referentin forderte auch eine Berücksichtigung in sozioökonomischen Modellen als Entscheidungsgrundlage im öffentlichen Gesundheitswesen.
Das von Prof. Lingvay und ihrem Team entwickelte Therapiekonzept wurde Ende September publiziert1 und differenziert nach drei verschiedenen Diabetestypen (siehe Tabelle). Diese sind neben dem adipositasassoziierten Typ-2-Diabetes der kardiovaskulär bzw. renal geprägte Diabetes und die isolierte Hyperglykämie aufgrund einer signifikanten Betazell-Dysfunktion. Hier kommen primär GLP1-RA zum Einsatz. „Reicht das nicht aus, können ergänzend Insulin oder Medikamente eingesetzt werden, welche die Insulinproduktion anregen, also z.B. Sulfonylharnstoffe“, erklärte die Referentin. Diese kommen auch alternativ infrage, wenn GLP1-RA nicht vertragen werden.
Bei Gewichtszunahme unter der intensivierten Therapie sollte man auch hier besonders gewichtssparende glukosesenkende Wirkstoffe berücksichtigen. „Es liegt an uns, die notwendigen Veränderungen in der Behandlung anzustoßen“, konstatierte die Expertin.
Friederike Klein
1. Lingvay I et al. Lancet 2021; doi: 10.1016/S0140-6736(21)01919-X
EASD Annual Meeting 2021