Mediziner weiter unter Druck
Wiesbaden. Fast 40 deutsche medizinische Organisationen unterstützen den von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin initiierten Ärzte Codex. Auch die European Federation of Internal Medicine hat sich der Initiative nun angeschlossen.
Die Ärzteschaft steht weiter unter Druck, ihr Handeln einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung unterzuordnen, sagt Professor Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Die Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern seien zwar unterschiedlich, es sei aber ein Zeichen, dass das Thema in ganz Europa aufgegriffen werde.
Professor Dr. Dror Dicker, Internist aus Israel und Vorsitzender der European Federation of Internal Medicine (EFIM), führt die Missstände im Wesentlichen auf die Faktoren Korporatisierung, Konsumismus und Computerisierung zurück. Der „Mythos des ärztlichen Helden“ sei vom Mythos der leistungsstarken Computerisierung abgelöst worden. Ein Mittel gegen diese Entwicklung sei eine Versorgung, die die Bedürfnisse der Patienten und gleichzeitig der Ärzte in den Mittelpunkt stelle. In der Pandemie sei deutlicher denn je geworden, welche strukturellen Mängel im Gesundheitssystem behoben werden müssten, so Prof. Schumm-Draeger. Seit 2017 diskutiere man über dieses Thema, damals wurde der Ärzte Codex etabliert. Man habe zwar einige Erfolge zu verzeichnen, doch die geforderten Veränderungen seien nicht vollzogen worden.
Immer mehr Krankenhäuser kommen ins Schwimmen
Ein großes Problem stellten Fehlanreize durch die DRGs dar. In den Kliniken sei es zu einer signifikanten Erhöhung der Fallzahlen gekommen, verbunden mit einem beschleunigten Durchsatz aufgrund der verkürzten Verweildauer bei gleicher Bettenauslastung. Die Zahl der Krankenhäuser, die in eine betriebswirtschaftlich unausgeglichene Situation laufen, steige. In Bayern beispielsweise betreffe das Prognosen zufolge 2020 über 60 % der Krankenhäuser. Für das aktuelle Jahr rechne man mit einer Verschärfung der Situation. Grund dafür sei „die strukturelle Problematik in der Krankenhausfinanzierung und insgesamt in unserem Gesundheitswesen im stationären wie auch im ambulanten Bereich“.
Die Kommerzialisierung sei dann problematisch, wenn statt des rationalen Umgangs mit Ressourcen der Profit im Vordergrund stehe, erklärt Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt. Die Gefährdung unabhängigen ärztlichen Handelns in den Krankenhäusern sei insbesondere an zwei Stellen wahrnehmbar: bei der Finanzierung und beim Produktivitätsdruck aufgrund des Wettbewerbs der Häuser untereinander.
Eine weitere Triebfeder lasse sich bei den privaten Investoren im Bereich der ambulanten Medizin ausmachen. Elf Milliarden Euro wurden allein 2017 investiert; 15 % der MVZ in der Humanmedizin und 23 % in der Zahnmedizin sind branchenfremd aufgestellt. In diesem Zusammenhang könne man beobachten, so Dr. Reinhardt, dass Ärztinnen und Ärzte nicht nur unter Renditedruck gesetzt würden, es werde ihnen sogar nahegelegt, bestimmte Prozeduren häufiger oder weniger häufig auszuführen.
Dieser Entwicklung müsse der Berufsstand etwas entgegensetzen. Die Bundesärztekammer habe Eckpunkte erarbeitet, die – würden sie in Gesetzen umgesetzt – helfen könnten, zumindest die Auswüchse von Private-Equity-Kapital zu begrenzen. Die betriebswirtschaftliche Nutzenoptimierung betrifft auch die jungen Ärzte, so Dr. Matthias Raspe von der Charité Berlin und Sprecher der Jungen Internisten der DGIM. Diese berichten von zu wenig Zeit für Teaching, Weiterbildung und Supervision durch den DRG-Kostendruck und die damit einhergehende Arbeitsverdichtung, von zu wenig Zeit für eine differenzierte Betrachtung der Patienten und von Frustration darüber, dass es in ihrer Tätigkeit in erster Linie um Zahlen geht.
Weltärztebund warnt vor drohendem Burn-out
Von der Generation Y würden heute mehr als 60 % über 49 Wochenstunden arbeiten. Quasi drei Viertel der Befragten sagen, sie müssten mehr auf ihre Gesundheit achten. Eine Folge der Belastung sei nicht nur eine drohende „Burn-out-Pandemie“ unter Ärzten, vor der z.B. der Weltärztebund warnt, sondern auch eine „Moral Injury“, die besonders junge Ärzte betreffe, wenn sie mit großen Zielen ihr Studium angetreten haben und dann merken müssen, dass nach ganz anderen Kriterien behandelt wird. Der Ärzte Codex soll auch junge Mediziner ermutigen, sich „mit den durch die kaufmännischen Geschäftsleitungen vorgegebenen wirtschaftlichen Vorgaben kritisch auseinanderzusetzen“.
Anouschka Wasner
127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin