Es liegt etwas in der Luft
Berlin. Die distale symmetrische sensomotorische Polyneuropathie zählt zu den häufigsten Komplikationen eines Diabetes. Welche Rolle Schadstoffe, beispielsweise aus Luft, bei deren Entstehung spielen, wird Forschenden allmählich klarer.
Zwar hat man die Pathomechanismen hinter der distalen symmetrischen sensomotorischen Polyneuropathie (DSPN) bislang nur teilweise klären können, weshalb auch Präventions- und Therapieoptionen limitiert sind, erläuterte Professor Dr. Christian Herder vom Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ), Düsseldorf. Mit einem diagnostizierten Diabetes, Prädiabetes oder Adipositas hat man aber bereits einige der größten Risikofaktoren für die Nervenerkrankung gefunden. Daneben üben wohl auch Körpergröße, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie und Rauchen einen ungünstigen Einfluss aus. Aus Studien sei zudem bekannt, dass inflammatorische Prozesse an der Pathogenese beteiligt sind.
Ultrafeinstaub bietet eine extrem große Oberfläche, an der sich toxische Materialien binden können, sagte Prof. Herder. Zu den genauen Mechanismen zwischen Umweltbelastungen und Diabetes gebe es jedoch kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. In der Salia-Studie aus dem Ruhrgebiet hatten Forschende erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Konzentration am Wohnort und der Diabetesinzidenz beschrieben. Zu Luftschadstoffen als Risikofaktoren für die Entstehung der Polyneuropathie gab es bisher keine Untersuchung.
Aus der KORA-Studie wurden nun Daten veröffentlicht, nach denen Personen mit Adipositas eine vulnerable Subgruppe bilden. Über rund 6,5 Jahre wurden 1075 Personen aus Augsburg im Alter von 62–81 Jahren auf die Prävalenz einer DSPN untersucht. Ein Drittel von ihnen war adipös und etwa jeder Fünfte wies einen manifesten Typ-2-Diabetes auf. Die Ermittlung der DSPN-Inzidenz basierte auf Daten von 424 Individuen mit einem durchschnittlichen BMI von 27,9 kg/m2 (27,6 % adipös, 15,6 % mit Typ-2-Diabetes), die die Erkrankung zu Beginn der Studie noch nicht aufwiesen. 188 von ihnen entwickelten sie im Verlauf.
Personen, bei denen es während des Follow-ups zu einer DSPN gekommen war, waren tendenziell älter, hatten einen höheren BMI und größeren Taillenumfang. Anhand der Analyse lässt sich zudem erkennen, dass höhere Konzentrationen der erhobenen Luftschadstoffe sowohl mit einem größeren Risiko für eine DSPN als auch mit einer höheren Inzidenz der Erkrankung assoziiert waren. Welche Mechanismen dem zugrunde liegen, sei laut Prof. Herder unklar. Die Autoren der KORA-Studie mutmaßen jedoch, dass Adipositas und Luftschadstoffe synergetisch an deren Entstehung beteiligt sein könnten.
Prof. Herder wies darauf hin, dass die Kohorte aus dem Raum Augsburg mit geringerer Luftbelastung zu kämpfen habe als Menschen in anderen Gebieten Deutschlands. Zudem „fängt die Dosis-Wirkungs-Beziehung unterhalb sämtlicher Grenzwerte an“, betonte er. Dies bedeute, dass auch bei einer sehr niedrigen Feinstaubbelastung von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen sei, insbesondere bei einer vorliegenden Adipositas.
Dr. Karin Kreuel
Diabetes Kongress 2021