Serie Green Diabetes: Wie gelingen Müllvermeidung und Klimaschutz in der Diabetespraxis?
WIESBADEN. Nicht nur Menschen mit Diabetes, sondern auch ihre Behandlungsteams ärgern sich über die Müllberge, die mit der Diabetestherapie einhergehen. Diabetolog*innen sehen deutliches Einsparpotenzial bei Verpackungen und Einwegmaterialien. Bei ihrem persönlichen Engagement für mehr Nachhaltigkeit sehen sie sich allerdings ausgebremst durch strikte Hygienevorgaben und das wenig umweltbewusste Design vieler Diabetesprodukte.
Spricht man Diabetolog*innen auf das Stichwort „Diabetesmüll und Klimaschutz“ in Gesundheitseinrichtungen an, kommen den meisten Plastikverpackungen, Einweg-Setzhilfen für CGM-Sensoren und Pumpenzubehör in den Sinn. Auch der hohe Papierverbrauch ärgert sie: „Wir sind so digital, wie es nur geht. Allerdings werden wir mit Werbung und Anfragen der Krankenkassen zugemüllt. Das könnte alles papierlos gehen“, kritisiert einer der Befragten. Weniger Altpapier fiele auch an, wenn Versandkartons anders dimensioniert wären: „Insulinpumpen, Katheter und Sensoren erreichen uns in riesigen Paketen, die viel, viel größer sind als das verpackte Produkt. Es wäre großartig, wenn die Kartons schlicht kleiner wären“, findet eine der Befragten.
Batterien, Einwegpens – geht’s nicht anders?
Daneben stört viele von ihnen, dass in Blutzuckermessgeräten, Insulinpumpen und Sensoren fast nur Batterien statt wiederaufladbare Akkus zum Einsatz kommen. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihnen Einwegpens, etwa für Insulin oder GLP1-Rezeptoragonisten: „Wir verordnen nur Einmalpens, wenn es nicht anders geht, die Sicherheit und Handhabung stehen im Vordergrund“, bringt es ein anderer auf den Punkt.
Mehrweg – die Lösung?
Die Ärzt*innen sind davon überzeugt, dass mit ein bisschen gutem Willen bei etlichen Produkten Mehrweglösungen möglich wären. Dazu würde der eine oder die andere auch gern aktiv beitragen – etwa durch das Aufstellen von Sammelbehältern für gebrauchte Diabetesutensilien in der eigenen Einrichtung, um den Müll dann gezielt der Industrie zur Entsorgung bzw. dem Recycling zukommen zu lassen. Bedingung wäre jedoch, dass sich der Platzbedarf dafür in Grenzen hält und dass die Rücknahme „mit einem überzeugenden Gesamtkonzept hinterlegt“ ist.
Allerdings schätzen die Befragten das Interesse der Diabetesindustrie, an diesen vermeidbaren Müllbergen etwas zu ändern, als eher gering ein. Zwar sprechen viele regelmäßig Industrievertreter*innen wie den Pharmaaußendienst auf Nachhaltigkeit, Müllvermeidung und Recycling an. Doch die Reaktionen darauf machen nur wenig Hoffnung: „Das wurde abgeblockt“, berichtet eine der Befragten. Entsprechend wenig Vertrauen schenken sie den vereinzelten Recycling- und Rücknahmeaktivitäten der Industrie, etwa bei Einwegpens oder Patchpumpen: „Das sind doch alles Feigenblattaktivitäten“, meint ein Diabetologe. „Es fehlt an Aufklärung der Firmen über den Rücknahmeprozess“, sagt eine andere und kritisiert, dass Firmen bei der Vorstellung neuer Produkte bislang nicht mit Nachhaltigkeitsaspekten werben.
Patient*innen wiederum treffen nach Erfahrung der Befragten ihre Therapieentscheidungen nur vereinzelt nach ökologischen Kriterien: „Familien entscheiden eher danach, was am besten für ihr Kind ist (Stoffwechseleinstellung und Lebensqualität). Alles andere ist zweitrangig“, berichtet eine Kinderdiabetologin.
Und einer ihrer Kollegen mahnt an: „Unsere Patient*innen sind häufig durch ein aufwendiges Krankheitsmanagement belastet und emotional mit der Krankheitsbewältigung beschäftigt. Sie sollten sich nicht auch noch mit Umweltaspekten ihrer Therapie belasten.“ Dennoch kommt es vor, dass Patient*innen sich für Therapieformen entscheiden, die weniger Müll verursachen bzw. insgesamt umweltfreundlicher sind, „wenn man sie zu adäquaten Produkten informiert hat“. Nach Maßnahmen zum Umweltschutz in der eigenen Praxis bzw. Einrichtung befragt, geben Diabetolog*innen an, den Müll bestmöglich zu trennen, etwa mit Sammelboxen für Druckerpatronen und -toner sowie Altpapier. Gebrauchte Plastikkanister dienen mancherorts als Sammelbehälter für scharfe Gegenstände. Sie setzen LED als Leuchtmittel ein und nutzen für Produkte wie Seife oder Desinfektionsmittel Nachfüllpackungen. Auch die Nutzung waschbarer Handtücher und OP-Textilien senkt den Ressourcenverbrauch.
Mit dem Rad oder E-Bike in die Praxis
Daneben steht das Fahrrad für den Weg zum Arbeitsplatz hoch im Kurs. So berichtet eine Diabetologin: „Ich persönlich fahre seit zwei Jahren fast ausschließlich mit dem Fahrrad zur Praxis, Angebot von Fahrradleasing (E-Bike) an die Mitarbeiter besteht.“ Manch einer setzt sich sogar bewusst über geltende Hygieneauflagen hinweg, um Ressourcen zu sparen: „Einmalmaterial wird oft nochmals sterilisiert, Desinfektionsmittel wird aufgefüllt. Viele Maßnahmen sind aber nicht regelkonform bis illegal. Solange ich es mit gutem Gewissen für die Sicherheit verantworten kann, machen wir es aber so weiter“, erzählt einer der Befragten.
Und auch die Digitalisierung hilft vielen, den ökologischen Fußabdruck ihrer Einrichtung zu verkleinern: So können Smarthome-Steuerungen z. B. den Stromverbrauch, Außenrollläden und Raumtemperatur regulieren. Die Videosprechstunde spart den CO2-Ausstoß bei der Anfahrt der Patient*innen, während Online-Besprechungen und virtuelle Kongresse aufseiten der Ärzt*innen viele Fahrkilometer bzw. Flugreisen überflüssig machen.
Antje Thiel