Ein echter Herzensbrecher
ORLANDO. Gefühle von Einsamkeit und soziale Isolation haben weitreiche Folgen für viele assoziierte Erkrankungen – auch für Typ-2-Diabetes, dessen Management bzw. Erkrankungsrisiko.
Von der New York Times bis zu US-Fachbuch-Bestsellerautoren – kein Medium kommt mehr am Thema Einsamkeit vorbei. Ein Problem, das auch für diabetologische Fachkräfte zunehmend von Interesse ist, denn für die Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und Typ-2-Diabetes (T2D) bzw. dem T2D-Risiko liegen etliche Studiendaten vor. Zunächst klärte Dr. Anne Gaglioti, Cleveland/USA, die Begriffe: Das Ausmaß, in dem eine Person oder Bevölkerungsgruppe die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten erreicht, werde als soziale Vernetzung beschrieben. Als sozial isoliert gelten Menschen mit objektiv wenigen sozialen Beziehungen, wenigen sozialen Rollen, fehlender Gruppenzugehörigkeit und seltenen sozialen Interaktionen.
Dr. Gaglioti warnte jedoch vor Trugschlüssen: Menschen mit vielen Kontakten können einsam sein, während Menschen, die oft allein sind, nicht automatisch Einsamkeit empfinden. Unter Einsamkeit werde eine subjektiv belastende Erfahrung verstanden, die aus einer wahrgenommenen Isolation oder qualitativ inadäquaten Beziehungen resultiert. Letztere sind durch eine Diskrepanz zwischen der gewünschten und der tatsächlichen Erfahrung gekennzeichnet oder ein unbefriedigtes Bedürfnis. Ein hohes Risiko für Einsamkeit weisen u. a. chronisch kranke Menschen auf.
„Fehlende soziale Vernetztheit gefährlicher als 15 Zigaretten“
Der Trend zu Einsamkeit und sozialer Isolation steige, sagte die US-Amerikanerin. Eine Assoziation zwischen sozialer Isolation und vorzeitiger Mortalität bestehe laut Analysen auch unter Berücksichtigung von Gesundheitsstatus, Alter, sozioökonomischer Position und Gesundheitsverhalten. Metaanalysen hätten gezeigt, dass eine gute soziale Vernetzung Überlebenschancen um 50 % erhöhten. Bereits vor längerer Zeit wurde durch die MONICA/KORA-Studien belegt, dass fehlende soziale Vernetzung (bzw. mangelnde strukturelle soziale Unterstützung) mit einem erhöhten Diagnoserisiko für T2D assoziiert ist – auch nach Adjustierung diverser Einflussfaktoren (BMI, Hypertonie, körperliche Aktivität, Depression, familiäre Vorbelastung). Dr. Gaglioti betonte, dass eine bessere soziale Unterstützung von Menschen mit Diabetes mit einem besseren Selbstmanagement verbunden ist. Soziale Vernetzung zu gewährleisten, sei eine wichtige Aufgabe für das Gesundheitswesen und werde auch von der WHO adressiert.
Einsamkeit während der COVID-19-Pandemie Ariana M. Chao (PhD), außerordentliche Professorin an der Johns Hopkins School of Nursing, Baltimore/USA, betonte die starke Zunahme von Einsamkeit bei älteren Menschen mit T2D während der Covid-19-Pandemie. Einsamkeit sei bei älteren Betroffenen mit einer schlechteren kognitiven Leistung verbunden. Die Beziehung zwischen Einsamkeit und Depression sei als bidirektional anzusehen und die Fähigkeit zum Selbstmanagement werde durch Einsamkeit reduziert. Daher bestehe ein Bedarf an Maßnahmen zur Bekämpfung der Einsamkeit bei Menschen mit Diabetes. |
Dr. Xuan Wang, New Orleans/USA, sagte, ein höherer Anteil von Menschen mit Diabetes als in der Allgemeinbevölkerung fühle sich sowohl einsam als auch sozial isoliert. Das 20-Jahres-Follow-up der HUNT-Studie habe für Individuen, die sich besonders einsam fühlten, ein zweifach erhöhtes Risiko für die T2D-Entwicklung gezeigt. Was hilft? In einer Übersichtsarbeit hätten Haustiere und technische Hilfsmittel in der Langzeitpflege große Effektstärken gezeigt. Deren große Heterogenität, die wenigen Studien pro Intervention und eine niedrige Evidenzqualität schmälern jedoch die Aussagekraft der Ergebnisse. „Noch ist unklar, ob die Veränderungen in den Interventionsstudien bei Symptomen von Einsamkeit zu langfristigen Ergebnissen führen könnten, also zu Verbesserungen im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Mortalität bei Menschen mit Diabetes“, lautete ihr Fazit.
Dr. Karin Kreuel
ADA 2024