Reformdruck: die Diabetologie im Dilemma
BERLIN. Immer mehr Menschen mit Diabetes werden künftig von immer weniger Fachpersonal versorgt. Was kann die digitale Versorgung hier leisten und wer bezahlt die digitalen Neuerungen am Ende?
Das Dilemma sei offensichtlich: Zwar gebe es immer mehr und bessere Diabetestechnologie, so Moderator Professor Dr. Bernd Kulzer, dies aber treibe die Ausgaben in die Höhe. Die Kostensteigerung der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) versus der Blutzuckermessung lag in den letzten fünf Jahren in Deutschland bei einer halben Milliarde Euro, ergänzte Dr. Christian Graf von der Barmer.
Die digitale Versorgung nutze man häufig nicht oder nicht richtig. Es werde z. B. so getan, als ob die Videosprechstunde hierzulande schon etabliert sei, die aber selbst zu Pandemiezeiten nur auf maximal 0,5 % kam (Psychotherapie ausgenommen). Schätzungsweise mindestens 20 % aller Arzt-Patient-Kontakte könnten jedoch durch Videosprechstunden ersetzt werden.
Virtuelles Diabeteszentrum – Versorgung rund um die Uhr
Man müsse die „Sektorgrenzen aufbrechen“, so Dr. Graf. Durch einen „digitalen Zulassungsstatus“ von Fachkliniken etwa könne man die digitale Präsenz (per Video) von Ärzt*innen und z. B. Diabetesbera-ter*innen 24/7 ermöglichen und virtuelle Diabeteszentren schaffen. Eine deutschlandweite digitale Schulungsoption müsse überdies etabliert werden.
Obwohl Pumpen- und AID-Systeme kein Einweisungsgrund seien, zeige sich auch immer wieder, dass Diabetespatient*innen stationär aufgenommen werden müssten, weil in den Praxen die Expertise fehle. Eine vorstationäre Behandlung wäre hier sinnvoll, sei digital aber nicht möglich, kritisierte Dr. Graf.
„Momentan diskutieren wir: Wie retten wir den Status quo in der Dia-betologie? Nicht: Wie könnten wir die Zukunft gestalten?“, erläuterte er u. a. mit Blick auf die Krankenhausreform, bei der die Diabeteskliniken schlicht „vergessen“ worden seien. Der niedergelassene Bereich werde vom Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) bedroht. Mit Kampagnen halten die Verbände der ambulanten und stationären Diabetologie (BVND, BVKD) dagegen.
Die DMP bezeichnete Dr. Graf als die erfolgreichste neue Versorgungsform, vor allem beim Diabetes. Rund 60 % der Menschen mit Diabetes (knapp 4,7 Mio. Versicherte) seien in die DMP eingeschrieben, die nachweislich die Mortalität und diabetesbedingte Folgekomplikationen wie Amputation, Dialysepflicht und Erblindung deutlich senkten. „Erhebliche Defizite“ sieht er u. a. in der fehlenden strukturierten (datengestützten) Kommunikation zwischen Haus- und Fachärzt*innen sowie Krankenhaus und weiteren Behandelnden.
Die Reformansätze zeigten „viele Einzelmaßnahmen, aber kein Gesamtbild“. Einerseits seien digitale Schulungen möglich, sechs neue DMP (z. B. zu Herzinsuffizienz, Depression, Adipositas) stünden bereit, die Einführung des digitalen DMP sei beschlossene Sache, der Kabinettsentwurf des Gesunde-Herz-Gesetzes bringe die DMP-Verpflichtung für die Kassen mit Umsetzungsfristen. Andererseits fehlten Vorschläge zur sektorenübergreifenden Versorgung (z. B. des Zulassungsstatus analog des § 140a). Diese Prozesse müssten „grundlegend überdacht werden“.
68 % aller Menschen in Spanien nutzten das E-Rezept seit sechs Jahren, so der frühere Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken. 48 Mio. Italiener*innen hätten bereits die digitale Identität – „wir immer noch nicht“. Die Einführung des E-Rezepts sei nun endlich in Deutschland erfolgt; in wenigen Jahren werde die EU-Anbindung folgen. Ob die ePA, die am 15. Januar 2025 zunächst nur in den Modellregionen Franken und Hamburg starte, zum Laufen gebracht werde, müsse man abwarten. Frühestens am 15. Februar könne der bundesweite Roll-out der „ePA für alle“ starten. Hier müsse Deutschland „endlich auf einen gemeinsamen Standard kommen“, so Dr. Leyck Dieken.
Angela Monecke