Zuckersteuer wäre binnen zwei Jahren machbar
Berlin. Eine Haupterkenntnis hat der diesjährige (digitale) Zuckerreduktionsgipfel gebracht: Eine Zuckersteuer ist kein Hexenwerk. Das wurde durch die Ausführungen eines Vorsitzenden Richters am Bundesfinanzhof klar.
Anlässlich des Zuckergipfels fordert nun auch der AOK-Bundesverband eine Zuckersteuer auf Softdrinks, gemeinsam mit der DDG und dem Berufsverband der Kinderärzte. „Wir wissen, dass drei von fünf Menschen übergewichtig sind“, sagte AOK-Vorstand Martin Litsch. „Die krankheitsbedingten Kosten für die Solidargemeinschaft gehen über 60 Milliarden.“ Unter anderem deshalb „müssen wir uns darum kümmern“.
EU-Recht steht einer Zuckersteuer nicht entgegen
Vor allem der hohe Konsum von Softdrinks durch Kinder – ein halber Liter pro Tag – macht der AOK Sorge. Litsch mahnte deshalb: „Es braucht ein höheres Maß an Verbindlichkeit.“ Rechtlich wäre eine Zuckersteuer relativ problemlos möglich, erläuterte Professor Dr. Harald Jatzke, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof. Bis 1992 gab es schon einmal eine Steuer auf Zucker in Deutschland, damals 6 D-Mark pro 100 Kilo.
Auch eine „gesundheitspolitisch motivierte Lenkungssteuer“ gibt es bereits: die 2004 eingeführte Alkopop-Steuer. „Der Gesetzgeber hat die Steuer bewusst eingeführt, um Jugendliche vom Konsum dieser alkoholhaltigen Süßgetränke abzuhalten“, sagte Prof. Jatzke. Ähnliches sei auch für Softdrinks möglich. Etliche EU-Mitgliedsländer hätten bereits Steuern auf Softdrinks oder auch andere Süßwaren.
Das Europarecht stehe einer deutschen Zuckersteuer nicht entgegen. Lediglich wenn es um alkoholische Getränke geht, müsste sie zusätzlich begründet werden. Ein gesundheitlicher Lenkungseffekt sei aber eine solche Begründung.
Mit Softdrinks anfangen und bei anderen Waren nachziehen
Ein möglicher Einstieg könnte eine Verbrauchssteuer auf Softdrinks sein, später könne man diese dann ausweiten auf andere Waren. „Der Charme ist, dass es damit eine breite Palette von Möglichkeiten gäbe, die Steuersätze auszugestalten“, sagt Prof. Jatzke. Der Steuersatz könnte etwa mit dem Zuckergehalt steigen.
Aus diesem Grund favorisiert der Jurist weniger die Mehrwertsteuer als Instrument – diese darf laut EU-Recht nicht beliebig oft gestaffelt werden, eine Verbrauchssteuer dagegen schon. So könne man den Herstellern Anreize bieten, den Zuckergehalt schrittweise zu senken.
Eine solche Zuckersteuer zu entwerfen und einzuführen, sei innerhalb von ein bis zwei Jahren möglich, betonte Prof. Jatzke. Er sieht da keine großen rechtlichen Hindernisse: „Das ist alles kein Hexenwerk.“ Es hänge vom politischen Willen ab.
Doch bisher setzt die Politik auf Freiwilligkeit, unter anderem mit der Nationalen Reduktions-strategie. Das Ernährungsministerium war auf dem Gipfel durch ein Grußwort von Staatssekretär Dr. Hans-Joachim Fuchtel (CDU) vertreten. „Sich ungesund zu ernähren, ist leider einfach“, räumte er ein, „überall sind die Angebote.“ Krankheiten wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck seien heute ein Massenphänomen: „Diesen Zustand müssen wir dringend ändern.“ Wo notwendig, müsse die Politik auch „regulierend eingreifen, um Verbraucher zu schützen“. Mit der Reduktionsstrategie habe man aber bereits viel erreicht.
Deutliche Reduktion bisher nur bei einigen Produkten
Professor Dr. Pablo Steinberg, Präsident des Max-Rubner-Instituts, stellte dazu Daten vor. Bei den Kinderjoghurts sei der Zuckergehalt tatsächlich um 20 % gesunken (von 2016 bis 2019). Bei Cola und regulären Limonaden hingegen nur um 1,5 bzw. 2,2 %, bei Kindergetränken um 35,1 % (von 2018 bis 2019). Bei den oft überzuckerten Frühstücksflocken sind die Ergebnisse sehr gemischt. Gar keinen Zuckerrückgang gab es etwa bei „Knusprigen Getreideerzeugnissen Schoko ohne Kinderoptik“, mit Kinderoptik waren es 17 % weniger – wobei der Gehalt im Durchschnitt immer noch 24 pro 100 Gramm beträgt.
Litsch zeigte sich mit diesen Ergebnissen insgesamt nicht zufrieden, vor allem mit der geringen Senkung bei regulären Limonaden um durchschnittlich nur 0,16 Gramm Zucker auf 100 Milliliter (von 9,08 auf 8,92 Gramm). „Wir sprechen hier in der Breite über Reduktionen im homöopathischen Bereich. Erforderlich ist eine Senkung um mehrere Gramm, nicht Milligramm.“ In Großbritannien sei das mit der verpflichtenden Herstellerabgabe auf zu hohe Zuckerzusätze gelungen.
Fuchtel kündigte an, dass die Reduktionsstrategie ausgeweitet werden soll auf weitere Kinderprodukte sowie auf die Außer-Haus-Verpflegung.
Interessenausgleich ist in der Selbstverwaltung herzustellen
Für Renate Künast, Sprecherin für Ernährungspolitik bei der Bundestagsfraktion der Grünen, leben wir im Augenblick in einer Zwangssituation: „Überall kommt einem Werbung entgegen für Lebensmittel, die in Wahrheit nicht Mittel zum Leben sind, sondern Snacks und Süßigkeiten.“
Ihr gehe es daher gerade um mehr Freiheit von solchen Einflüssen. Als größtes Problem sieht auch Künast die Softdrinks, gerade für Kinder. Nötig sei ein „Werkzeugkasten“ mit verschiedenen, verpflichtenden Maßnahmen: verpflichtende Reduktionsziele auf wissenschaftlicher Basis, ein Kinderwerbeverbot für ungesunde Produkte, ein verpflichtender Nutri-Score, kostenloses Schulessen nach DGE-Standards und eine Zuckersteuer. „Zucker ist der neue Tabak.“
„Wer steht da auf der Bremse?“, fragte Moderator Armin Himmelrath den AOK-Vorstand. Die Antwort: „Alle, die davon profitieren.“ Zucker sei nun einmal ein billiger Inhaltsstoff, und der Kampf auf dem Lebensmittelmarkt zuweilen hart. „Das darf aber nicht unser einziges Kriterium sein“, sagte Litsch. Auch im AOK-Aufsichtsrat gebe es von der Arbeitgeberseite noch Vorbehalte etwa gegenüber einer Zuckersteuer. „Es ist aber ein großer Gewinn der Selbstverwaltung, dass dieser Interessenausgleich hergestellt werden muss und hergestellt wird.“ Das müsse man austragen.
Heike Dierbach
3. Zuckerreduktionsgipfel
Kritikpunkte der DDG wurden „mehr als bestätigt“
Berlin. In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern der AOK-Bundesverband, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft eine Abgabe auf gezuckerte Softdrinks sowie ein Werbeverbot für überzuckerte und hochkalorische Kinderlebensmittel. Die Zwischenergebnisse der Nationalen Reduktionsstrategie seien deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, freiwillige Vereinbarungen mit Industrie und Handel reichten nicht mehr aus, schreiben die drei Organisationen. „Diese Befürchtung haben wir bereits zu Beginn des Prozesses vor zwei Jahren geäußert“, erinnert DDG Präsidentin Professor Dr. Monika Kellerer, „leider wurden unsere Kritikpunkte seinerzeit nicht ernst genommen. Nun haben sie sich mehr als bestätigt“. Die DDG war seinerzeit aus dem wissenschaftlichen Beirat für die Reduktionsstrategie ausgetreten. Die Vizepräsidentin des BVKJ, Dr. Sigrid Peter, betont, dass Deutschland beim Softdrinkkonsum von Kindern europaweit auf dem dritten Platz liegt. „Das ist erschreckend, vor allem, wenn man die gesundheitlichen Folgen sieht, mit denen wir Pädiater tagtäglich in unseren Praxen konfrontiert sind.“ Die Einnahmen aus der Steuer könnten in den Schulsport oder in eine gesunde Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen investiert werden. Auch die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) forderte anlässlich des Zuckergipfels verbindliche Maßnahmen. „Freiwillige Vereinbarungen zeigen bei Softdrinks eine zu geringe Wirkung“, sagt DANK-Sprecherin Barbara Bitzer, „es braucht daher eine Abgabe, um die Hersteller zu mehr Innovation zu bewegen.“Bedeutsam sei auch nicht nur der Durchschnittswert des Zuckergehalts bei Getränken, sondern welches Angebot den Kunden zur Verfügung gestellt und was tatsächlich gekauft wird. Beides verbessere sich nachweislich durch eine Zuckersteuer. So ist in Portugal durch eine Steuer das Angebot an stark gezuckerten Produkten von zuvor 60,9 % auf 36,8 % aller Softdrinks gesunken. In Großbritannien hat sich der Absatz von mittel und stark gezuckerten Getränken durch die Softdrinksteuer halbiert. Zugleich ist der Verkauf von Wasser und zuckerarmen Getränken um 40 % gestiegen.