Gegenseitige Bereicherung statt Konflikt

Diabetestherapie soll in vielen Bereichen kultursensibler werden

Wiesbaden. Ein Patient bringt seine gesamte Familie mit in die Sprechstunde. Wie sollten Ärztinnen und Ärzte reagieren? Interkulturelle Kompetenz würde hier weiterhelfen – künftig soll diese stärker gefördert werden.

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Die meisten Mediziner haben alltäglich Kontakt mit Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind. Einige dieser Patienten bringen andere Ernährungsgewohnheiten mit, auch unterscheidet sich teilweise ihr Verständnis von der Rolle des Arztes, der medizinischen Fachkräfte und des Patienten, da sie andere Gegebenheiten gewohnt sind.

Obwohl diese Unterschiede in der Betreuung von Menschen mit Diabetes relevant sein können, spielt das Thema Kultursensibilität in der ärztlichen und nicht-ärztlichen Weiterbildung eine eher untergeordnete Rolle.

So komme es immer wieder zu Unsicherheiten, Verständigungsproblemen und Interessenkonflikten, berichtet Professor Dr. Erhard Siegel, Vorsitzender des Ausschusses Diabetologe DDG. Manchmal würde die Begegnung sogar als Problem wahrgenommen.

Modul für interkulturelle Kompetenzen entwickeln?
Auch in der Weiterbildung zum Diabetologen DDG würden interkulturelle Kompetenzen zu wenig berücksichtig, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Allerdings sei es angesichts der begrenzten Zahl von Kursstunden schwierig, das Thema ausgiebig durchzuarbeiten. Prof. Siegel schlug daher vor, ein eigenes Modul zu entwickeln, das beispielsweise als Blended-Learning-Format von den angehenden Diabetologen verpflichtend absolviert werden könnte.

Anders sieht es in der Fortbildung der Diabetesberaterinnen und -berater DDG aus. Die möglichen Besonderheiten der Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund würden hier in 24 Unterrichtseinheiten thematisiert, berichtet Doris Schöning, die an der Akademie für Gesundheitsberufe in Rheine Veranstaltungen für angehende Diabetesfachkräfte betreut. Die Kurse sollen die Teilnehmenden befähigen und ermutigen, sich bei Bedarf selbst kulturspezifisches Wissen anzueignen. Zudem reflektieren sie ihre eigene kulturelle Prägung, um ein eventuell vorhandenes Schubladendenken abzulegen. Offenheit und Toleranz sind das Ziel.

Sicherer werden im Umgang mit Rollenkonflikten
Um den Fachkräften auch in schwierigen Situationen Sicherheit zu geben, werden konfliktbeladene Fälle besprochen. Etwa, wenn ein Patient sich nicht von einer Diabetesberaterin behandeln lassen will, weil diese weiblich und jünger ist.

Auch der Ausschuss Qualitätssicherung, Schulung und Weiterbildung der DDG will die Kultursensibilität in medizinischen Einrichtungen, Schulungsprogrammen und Weiterbildungen stärken. Professor Dr. Bernhard Kulzer, Mitglied des Ausschusses, kündigte an, dass das Zertifizierungsprogramm der DDG diesbezüglich nachgeschärft werde. So überarbeite man unter anderem die für die Zertifikate erforderliche Prozessqualität. Hierunter fallen viele Fragen, auf die es ankommt, wenn Menschen im Praxisalltag ungeachtet ihrer Person die Chance auf eine gleiche Behandlung bekommen sollen: Wann ist welches Personal mit welchen Sprachkenntnissen in der Praxis? Wann ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen?

Sehr nützlich für Patienten, die weniger gut Deutsch sprechen, sei der „Gesundheitspass Diabetes“, der von der DDG gemeinsam mit Partnern entwickelt wurde, so Prof. Kulzer. Darin werden die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen sowie Behandlungsziele festgehalten, zudem soll er an Vorsorgetermine erinnern. Der Pass ist in verschiedenen Sprachen verfügbar und kann dem Patienten die Kommunikation mit Medizinern erleichtern. Für Schulungsprogramme erhofft Prof. Kulzer sich eine digitale, preiswerte und schnelle Anpassung an neue Zielgruppen.

In Düsseldorf setzt man direkt in der Lehre an
An der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wird die Kultursensibilität Studierender im Wahlpflichtfach „Praktische Diabetologie“ gefördert. Dieses wurde von Faize Berger, Strategieberaterin mit Schwerpunkt Healthcare, und dem hausärztlichen Internisten Dr. Martin Stetzkowski ins Leben gerufen. Die Teilnehmer erlangen zunächst theoretische Kenntnisse und beobachten dann deren Umsetzung in Praxen. So können sie z.B. sehen, wie Dr. Stetzkowski vorgeht, wenn ein Patient mit Familie in die Sprechstunde kommt: Er wählt einen Sprecher aus, den Rest bittet er nach draußen.

Isabel Aulehla

Diabetes Herbsttagung 2021