Neue Schlüsselnummern in der Diabetologie
BAD MERGENTHEIM. Das BfArM hat in die 2023er-Version des ICD-10-GM neue sekundäre Schlüsselnummern zur spezifischen Kodierung des Schweregrades einer Hypoglykämie und des Vorliegens einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung bei Diabetes mellitus aufgenommen.
Die Kommission Kodierung & DRGs in der Diabetologie informiert über die Ergebnisse des „harten Ringens“ und die Auswirkungen.
Nach einer jahrelangen, mühsamen Klärung in unterschiedlichen Gremien, die sich mit der Kodierung im ICD-10 befassen, und nach den Anträgen zweier Medizinischer Dienste, die Kodierung der Hypoglykämien als Manifestation/Komplikation des Diabetes mellitus an der 4. Stelle der Hauptdiagnose E10 bis E14 zu löschen, wurde dank einer intensiven, von der von der Kommission Kodierung & DRGs in der Diabetologie wiederholt in das Vorschlagsverfahren eingebrachten und mit weiteren Fachgesellschaften und Berufsverbänden abgestimmten Anträgen zur Schaffung von Zusatzcodes für schwere Hypoglykämien und Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen nachfolgende Kodierregeln wirksam:
a) Hypoglykämien bleiben unverändert als Manifestation/Komplikation des Diabetes mellitus an der 4. Stelle der Hauptdiagnose E10 bis E14 zu kodieren.
b) Zusätzlich muss an die Hauptdiagnose Diabetes mellitus E1x6x bzw. E1x7x ein neuer ICD-Code U69.7-! angehängt werden, der den Schweregrad bzw. die unterschiedlichen Schweregrade von Hypoglykämien erfasst sowie eine ggf. vorliegende Hypgoglykämiewahrnehmungsstörung.
Mittels dieser neuen Kodes kann das InEK berechnen, ob in Abhängigkeit vom Schweregrad von Hypoglykämien und/oder einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung ein Kostensplit bei den Diabetes-DRG erforderlich ist. Die Ausführungen im ICD-10-GM lauten:
U69.7-! – Sekundäre Schlüsselnummern zur Angabe des Schweregrades einer Hypoglykämie oder des Vorliegens einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung
Die Schlüsselnummern U69.70!, U69.71!, U69.72! und U69.74! sind nur bei Jugendlichen und Erwachsenen (13 Jahre und älter) anzugeben.
Fremdhilfe liegt vor, wenn eine Person aufgrund der durch Hypoglykämie bedingten Bewusstseinseinschränkung nicht mehr in der Lage ist, selbstständig Maßnahmen zur Beendigung der Hypoglykämie durchzuführen und deshalb auf die Unterstützung durch An-/Zugehörige oder medizinisches Personal angewiesen ist. Fremdhilfe beinhaltet neben der Gabe von Glukose i.v., Glukagon i.m., s.c. oder nasal auch die durch die unterstützende Person durchgeführte orale Zufuhr von Glukose. Rezidivierende Hypoglykämien sind definiert als Hypoglykämien mit einer Häufigkeit von drei oder mehr hypoglykämischen Ereignissen (Blutzucker von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l und weniger) innerhalb von fünf Tagen.
Benutzen der sekundären Schlüsselnummern U69.70! bis U69.74!, um bei Diabetes mellitus (E10 bis E14) den Schweregrad der Hypoglykämie oder das Vorliegen einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung anzugeben.
Benutzen der sekundären Schlüsselnummern U69.70!, U69.71! und U69.72!, um bei anderen Zuständen, die mit einer Hypoglykämie einhergehen, den Schweregrad der Hypoglykämie anzugeben.
U69.70! – Milde Hypoglykämie, als nicht-rezidivierend bezeichnet
Die Person ist nicht auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l und weniger.
U69.71! – Milde Hypoglykämie, als rezidivierend bezeichnet
Die Person ist nicht auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l und weniger.
U69.72! – Schwere Hypoglykämie ohne Koma
Die Person ist auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l und weniger.
Schwere Hypoglykämie ohne Koma (rezidivierend) (nicht-rezidivierend)
U69.73! – Hypoglykämisches Koma bei Diabetes mellitus
U69.74! – Hypoglykämiewahrnehmungsstörung bei Diabetes mellitus
Rezidivierend unbemerkte Hypo-glykämien mit Blutzucker von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l und weniger. (Quelle: DIMDI, t1p.de/ocm69)
Somit ist erstmals – entgegen der Behandlungsleitlinien Diabetes mellitus – für Hypoglykämie ein Blutzuckerwert von < = 60mg/dl festgelegt. Cave: Das ICD-10 bezieht sich auf eine blutige Messung, inwieweit Gewebsglukosewerte akzeptiert werden, muss sich erst zeigen.
Schwere Hypoglykämien sind nicht über einen dezidierten Blutzuckerbereich definiert, sondern (konform den Behandlungsleitlinien) darüber, dass Fremdhilfe erforderlich ist. Fremdhilfe bezieht sich auf eine Bewusstseinseinschränkung, sodass Betroffene keine Glukose mehr selbstständig einnehmen können. Cave: An- und Zugehörige sind extra bezüglich der Fremdhilfe benannt; Fremdhilfe bezieht sich somit nicht – wie die Medizinischen Dienste oft gefordert hatten – ausschließlich auf medizinisches Personal.
„Hypoglykämien“ seit 2023: fünf Kodierbeispiele von Annette Ahollinger/Wolfgang Trosbach, Diabetes-Klinik Bad Mergentheim a) Patient DM Typ 1 mit zwei stationären milden Hypoglykämien, keine weiteren Komplikationen/Manifestationen des DM b) Patientin DM Typ 1 mit rezidivierenden Hypos, entgleist, sowie diabetischer Retinopathie c) Patient DM Typ 2 mit Diabetischem Fußsyndrom, entgleist, mehrere Komplikationen und milde Hypoglykämien laut CGM-Protokoll vorstationär sowie stationär schwere Hypoglykämie ohne Koma d) Kind DM Typ 1, 12 Jahre alt mit stationären Hypoglykämien e) Patientin DM Typ 1, schwanger, eingewiesen mit Hypoglykämie‑ wahrnehmungsproblematik und nach hypoglykämischem Koma |
Erstmals wurden rezidivierende Hypoglykämien definiert als drei oder mehr Hypoglykämien innerhalb von fünf Tagen. Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen wurden definiert als unbemerkte rezidivierende Hypoglykämien bei Blutzuckerwerten < = 60 mg/dl.
Daraus ergeben sich verschiedene Auswirkungen:
- Während einer Behandlung können und müssen selbstverständlich mehrere Kodes von U69.71! bis U69.74! gleichzeitig kodiert werden.
- Symptomatische Hypoglykämien mit Werten größer 60 mg/dl können nicht mehr als Hypoglykämien kodiert werden.
- Die Hypoglykämiewahrnehmungsproblematik erfordert über das Erfassen einer unbemerkten Hypoglykämie hinaus auch die Dokumentation eines Blutzuckerwertes von 60 mg/dl oder weniger.
- Ungeklärt bzw. vage bei der neuen Definition von Fremdhilfe bleibt, inwieweit auch das Erinnern/Auffordern/Drängen/Führen des Saftglases etc. als Fremdhilfe gilt, wenn Patient*innen zwar selbst noch die schnell wirksame Glukose einnehmen, aber nurmehr unter Führung/Anleitung von Dritten, weil sie dazu selbstständig nicht mehr in der Lage ist.
- Unseres Erachtens sind zwingend prästationäre bzw. anamnestisch genannte Hypoglykämien, die die Aufnahme mit veranlasst haben, zu kodieren. Stationär sollten dazu auch systematisch die Gewebsglukosemessungen der Patient*innen ausgelesen und dokumentiert werden.
Dipl.-Psych. Wolfgang Trosbach
für die DDG Kommission Kodierung & DRGs in der Diabetologie