Diabetesbericht bestätigt das Bauchgefühl
Hamburg. Jüngst hat die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storks den Bericht "Risikofaktoren und Prävention von Diabetes in Hamburg" vorgelegt. Der enthält auf 115 Seiten wichtige Daten zur Prävalenz von Typ-2-Diabetes in den Stadtteilen und zum Umgang der Betroffenen mit der Erkrankung. Zudem skizziert er mögliche Präventionsstrategien.
Dass es in Hamburg eine Menge Menschen mit Typ-2-Diabetes gibt, ist kein Geheimnis. Auch dass die Stoffwechselerkrankung häufiger bei denen auftritt, die in einem Stadtteil mit niedrigem sozioökonomischem Status leben, gilt als Binsenweisheit.
Diese gefühlten Gewissheiten stehen in der Hansestadt nun auf einer soliden Datengrundlage. Denn die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz hat für Typ-2- und Gestationsdiabetes einen umfassenden Bericht vorgelegt. Der soll beim Einsatz von Ressourcen und Erarbeiten von Präventionsmaßnahmen helfen. Der Bericht wurde in mehrjähriger Recherchearbeit erstellt. Er berücksichtigt Primär- und Sekundärquellen, darunter Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung, Krankenhausdiagnose-Statistiken, Analysen des Robert Koch-Instituts sowie Studiendaten des Uniklinikums Eppendorf und der Landesgeschäftsstelle Qualitätssicherung.
Der Bericht beschreibt allgemeinverständlich, was es mit der chronischen Erkrankung auf sich hat, welche Risikofaktoren es gibt, wie unterschiedlich die Stadtteile betroffen sind, wie Menschen mit ihrer Erkrankung leben und wie man das Risiko für einen Typ-2- oder Gestationsdiabetes verringern kann.
Gesundheitsförderndes Verhalten erleichtern
Senatorin Prüfer-Storcks erklärt hierzu: "Essenziell für die Senkung des Erkrankungsrisikos sind Gesundheitsförderung und Prävention, denn das Auftreten von Typ-2-Diabetes ist wesentlich durch ungünstige Lebensstilfaktoren mitbedingt und kann durch ausgewogene Ernährung, Reduktion von Zucker, regelmäßige körperliche Aktivität und damit einhergehend Vermeidung von Übergewicht verzögert oder sogar verhindert werden."
Die Politikerin will den Menschen ernährungs- und verhaltensbedingte Gesundheitsrisiken bewusst machen und Lebensbedingungen schaffen, die ein gesundheitsförderndes Verhalten erleichtern. "Das Hamburger Gesundheitssystem ist hier in vielen Bereichen bereits gut aufgestellt", meint sie.
Diabetes als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt
Der Vorsitzende der Hamburger Gesellschaft für Diabetes, Professor Dr. Martin Merkel, stimmt der Senatorin und ihrem Bericht in weiten Teilen zu: "Die Behörde hat mit vielen Akteuren gesprochen und die Daten sehr gut und sauber aufbereitet." Neue Erkenntnisse liefert der Bericht für ihn zwar nicht, "doch nun haben wir endlich stadtteilbezogen harte Zahlen für das, was bislang eher ein Bauchgefühl war".
Damit könne man zielgerichtete Präventionsangebote erarbeiten. Prof. Merkel nennt z.B. sogenannte Gesundheits-Kioske: "Das ist ein guter Versuch, niedrigschwellig Gesundheitsversorgung anzubieten und besonders gefährdete Menschen zu erreichen."
Der Internist zeigt sich positiv überrascht, dass die Behörde den Versorgungsbedarf so deutlich öffentlich macht: "Offensichtlich hat die Politik erkannt, dass Diabetes ein gesamtgesellschaftliches Problem ist."
Keine ausreichende stationäre Versorgung
Weniger glücklich ist er damit, dass der Diabetesbericht darauf verzichtet, die Versorgungsstrukturen der ärztlichen und nicht-ärztlichen Leistungserbringer inklusive ihrer Fachgesellschaften und Verbände darzustellen.
Außerdem kritisiert Prof. Merkel, dass ein wesentliches Problem der diabetologischen Versorgung nicht adressiert wurde: "In Hamburg gibt es keine ausreichende stationäre Versorgung für Menschen mit Diabetes. Hierbei fehlen nicht nur spezialisierte Diabetesstationen, in den meisten großen Krankenhäusern fehlt es an diabetologischer Expertise, um auch Menschen mit der Nebendiagnose Diabetes adäquat zu behandeln."
Fakten aus dem Hamburger Diabetesbericht
Prävalenz: 9 % der Männer und 7,5 % der Frauen in Hamburg wurden 2016 wegen Typ-2-Diabetes ambulant behandelt. Das sind 150 000 Patienten. Die meisten waren über 65 Jahre alt. In ärmeren Stadtteilen liegt die Prävalenz bei bis zu 14 %, in privilegierten Stadtteilen z. T. nur bei 5 %.
Therapie: Etwa 48 % der Patienten nehmen orale Antidiabetika (OAD), jeder Vierte spritzt Insulin und ungefähr 10 % nutzen eine Kombinationstherapie aus OAD und Insulin.
Krankenhaus: 2015 gab es in Hamburg mehr als 2000 stationäre Fälle mit Diabetes, davon waren ca. 1450 Männer und 900 Frauen. Die durchschnittliche Verweildauer lag bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mit zwölf Tagen um vier Tage höher als der Durchschnitt aller Krankheitsbilder.
Versorgung: Etwa die Hälfte aller Menschen mit Typ-2- Diabetes ist in DMPs eingeschrieben. Für das Jahr 2030 werden – verglichen mit 2011 – 18 000 zusätzliche Abrechnungsfälle für Diabetes erwartet.
Gestationsdiabetes: 2016 haben sich drei Viertel aller Schwangeren am Screening auf Gestationsdiabetes beteiligt. Der Anteil der Frauen mit der Diagnose Gestationsdiabetes ist von unter 2 % (2002) auf fast 5 % (2017) gestiegen. 11 % der Frauen sind zu Beginn ihrer Schwangerschaft adipös, weitere 21 % haben Übergewicht. Insgesamt überschreiten 40 % der Hamburgerinnen während der Schwangerschaft die Empfehlungen zur Gewichtszunahme.
Lebensqualität: Bei den meisten Menschen mit Diabetes ist die Lebensqualität physisch (62 %) wie psychisch (49 %) beeinträchtigt. Bei Menschen ohne chronische Erkrankungen liegen die Werte bei 16 % bzw. 19 %. 70 % der Befragten verfügen über ein ausreichendes bzw. gutes soziales Netz, für 30 % gibt es nur wenig soziale Unterstützung.
Risikofaktoren: 84 % der Hamburger weisen ein geringes Risikopotenzial für Typ-2-Diabetes auf. Allerdings ist ein Drittel der Bevölkerung zwischen 20 und 60 Jahre übergewichtig, 10 % sind adipös. Bei hohem sozioökonomischem Status haben nur halb so viele Adipositas wie bei mittlerem oder niedrigem Status.
Gesundheitsverhalten: Zwei Drittel der Bevölkerung bewegen sich nicht ausreichend. 26 % der Männer und 20 % der Frauen rauchen. Je höher der soziale Status, desto geringer der Anteil der Raucher und der Bewegungsmuffel.
Prävention: Fast alle Befragten erwarten von ihrem Arzt Empfehlungen zur Gesundheitsförderung, wenn dies notwendig ist. Der Check-up 35 sollte um die Erhebung des HbA1c-Werts und einen Diabetes-Risikofragebogen ergänzt werden. Insbesondere für vulnerable Gruppen braucht es niedrigschwellige, individuelle Unterstützung.