Es gibt keine LDL-Hypothese mehr
Paris. Das neue Update 2019 der gemeinsamen Leitlinie zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos der Europäischen Gesellschaften für Kardiologie (ESC) und Atherosklerose (EAS) ist da. Professor Dr. Müller-Wieland fasst die Kernpunkte zusammen.
Atherogene Lipoproteine wie das LDL sind kausal mit der Entstehung und Progression der Atherosklerose verknüpft. Daher ist die erste Feststellung in der Leitlinie: Es gibt keine „LDL-Hypothese“ mehr, der Zusammenhang ist belegt! Daher ist das primäre Ziel einer Behandlung von Fettstoffwechselstörungen zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos die Senkung atherogener Lipoproteine.
Empfehlungen zur Reduktion der atherogenen Lipoproteine werden anhand von Zielwerten für LDL-Cholesterin (aber auch ggf. ergänzend für das Non-HDL-Cholesterin oder die ApoB100- Konzentration1) gegeben. Da der Zusammenhang zwischen LDL-C-Senkung und Reduktion des Risikos linear ist („the lower the better“), sind die Zielwerte tiefer, je höher das kardiovaskuläre Risiko ist.
Vier Kategorien des kardiovaskulären Risikos werden anhand klinischer Parameter gegeben:
Sehr hohes Risiko:
- Patienten mit dokumentierter atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (hierzu gehören auch signifikante Plaques bei einer Koronarangiographie, CT mit mindestens zwei Gefäßen und Stenosierungen > 50 % oder Plaques im Ultraschall der Karotiden.
- Diabetes mit Endorganschaden (Mikroalbuminurie, Retino- oder Neuropathie) oder mindestens drei Hauptrisikofaktoren oder Typ-1- Diabetes mit früher Manifestation und Dauer > 20 Jahre.
- Kalkulierter Risiko-SCORE (Systemic Coronary Risk Estimation) ? 10% des Zehnjahres-Risikos für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis.
Hohes Risiko:
- Deutliche Erhöhung eines Risikofaktors, insbesondere Gesamt- Cholesterin > 310 mg/dl (8 mmol/l), LDL-C > 190 mg/dl (4,9 mmol/l) oder Blutdruck größer gleich 180/110 mmHg.
- Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie (FH) ohne weitere Risikofaktoren.
- Diabetes ohne Endorganschaden mit einer Diabetesdauer von mindestens 10 Jahren oder einen weiteren Risikofaktor.
- Moderate Niereninsuffizienz (eGFR 30–59 ml/min/1,73 m²).
- Kalkulierter Risiko-SCORE 5 % und < 10 % des Zehnjahres- Risikos für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis.
Moderates Risiko:
- Junge Patienten (Typ-1-Diabetes < 35 Jahre und Typ-2-Diabetes < 50 Jahre Lebensalter) mit einer Diabetesdauer < 10 Jahre ohne weitere Risikofaktoren.
- Kalkulierter Risiko-SCORE größer gleich 1 % und < 5 % des Zehnjahres-Risikos für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis.
Niedriges Risiko:
- n Kalkulierter Risiko-SCORE < 1 % des Zehnjahres-Risikos für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis.
Zielwerte für das LDL-Cholesterin sind entsprechend des Risikos:
- Bei sehr hohem Risiko: Ziel < 55 mg/dl (1,4 mmol/l) und ? 50 % Senkung
- Bei hohem Risiko: Ziel < 70 mg/dl (1,8 mmol/l) und ? 50 % Senkung
- Bei moderatem Risiko: Ziel < 100 mg/dl (2,6 mmol/l)
- Bei niedrigem Risiko: Ziel < 116 mg/dl (3,0 mmol/l)
Die Kommission Fettstoffwechsel der DDG ergänzt die Einschätzung „ideal“ für LDL < 55 mg/dl und „gut“ für LDL < 70 mg/dl in ihrer Praxisempfehlung 2019 (im Druck). Diese Ergänzung einer klinischen Beurteilung durch die Autorengruppe basiert darauf, dass die Evidenz für eine weitere effektive absolute Risikoreduktion bei Vergleich von LDL-C-Werten unter Behandlung zwischen < 70 mg/dl und < 55 mg/dl noch gering ist und sehr vom individuellen Risiko des Patienten abhängt.
FAZIT: Kardiovaskuläre Ereignisse sind ein wesentlicher Grund für verfrühte Sterblichkeit und Multimorbidität der von Diabetes betroffenen Menschen. Die risikostratifizierte patientenbezogene LDL-C-Senkung ist ein evidenzbasierter wichtiger integraler Bestandteil einer Diabetestherapie und kann die klinische Prognose unserer Patienten verbessern.
Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland
1. Mach F et al. 2019 Eur Heart J 2019; doi:10.1093/eurheartj/ehz455
ESC 2019