Gute Absicht kann auch schaden
Berlin. Kinder und Jugendliche mit Diabetes-Typ-1 als Risikogruppe vom wieder beginnenden Schulunterricht auszuschließen, komme einer Diskriminierung gleich, mahnt die DDG. Ähnliche Kritik üben die Kinder- und Jugendärzte.
Die DDG und die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGDP) der DDG weisen in einer Stellungnahme darauf hin, dass in Deutschland rund 9000 Kinder und Jugendliche nachweislich am Coronavirus erkrankt sind. Weder eine chinesische Studie noch mündliche Berichte italienischer Diabetologinnen und Diabetologen gäbe jedoch Hinweise darauf, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Virusinfektion hätten.
Die 30 000 von Diabetes betroffenen jungen Menschen pauschal als Risikogruppe zu betrachten, sei deshalb nicht korrekt, betont DDG Vizepräsident Professor Dr. Andreas Neu im Hinblick auf die langsam anlaufende Rückkehr zum normalen Schulunterricht.
Die Verunsicherung bei den Betroffenen war groß
Auch die ISPAD (International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes) sehe kein erhöhtes Risiko, bemerkt der kommissarische ärztliche Direktor an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendmedizin Tübingen.
Wie Prof. Neu berichtet, hatten einige Bundesländer sowie einzelne Kommunen und Schulen im April pauschal beschlossen, Kinder mit Diabetes vom Unterricht auszuschließen. Die Verunsicherung von Betroffenen, Eltern sowie von Schulen und Lehrern sei deshalb hoch gewesen. Eine Unzahl von Anfragen sei bei der DDG eingegangen. Nach der Veröffentlichung der Stellungnahme sei die Zahl der Anfragen deutlich rückläufig gewesen.
Auch Privatdozent Dr. Thomas Kapellen, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, kritisiert das Vorgehen: Kinder seien so unnötig in Bedrängnis geraten.
Die letzte Entscheidung sollte allein der Arzt treffen
Mit ihrer Einschätzung stehen die Diabetologen nicht alleine da. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hat sich mit Unterstützung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ebenfalls gegen eine pauschale Ausgrenzung von Risikogruppen in Kindergärten und Schulen ausgesprochen. Am Ende müsse immer der verantwortliche Arzt entscheiden, heißt es. Die Ärzte appellieren an das Verantwortungsbewusstsein der Zuständigen. Würden Maßnahmen vielleicht nicht nur für Wochen, sondern für Monate oder auch bis 2021 notwendig, stelle sich die Frage, ob eine möglicherweise allzu großzügig ausgelegte Protektionsabsicht nicht mehr schade als nütze.
Grundsätzlich könne man davon ausgehen, dass Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, die gut kompensiert bzw. gut behandelt und daher in ihrer Lebensqualität wenig oder unbeeinträchtigt sind, auch kein höheres Risiko für eine schwerere COVID-19-Erkrankung zu fürchten haben, als sie dem allgemeinen Lebensrisiko entsprechen, schreibt der BVKJ.
In diesem Zusammenhang nennt der BVKJ beispielsweise Kinder mit Diabetes Typ 1, Asthma, neurologischen oder endokrinologischen Erkrankungen und auch Kinder mit angeborenen Herzfehlern oder Herz-Kreislauferkrankungen, die a priori weder die Lunge, das Herz- Kreislaufsystem, die Nierenfunktion noch das Immunsystem in relevantem Ausmaß kompromittieren.
Cornelia Kolbeck