Kombiprogramm schützt vor Frailty

MID-Frail-Studie zeigt nachhaltigen Erfolg der multimodalen Intervention bei Diabetespatienten

Berlin. Menschen mit Typ-2-Diabetes zeigen häufig schon im mittleren Lebensalter erste geriatrische Symptome. Eine multimodale Intervention kann das verhindern, wie die MID-Frail-Studie belegt.

Es ist wichtig, früh gegen die Symptome gegenzusteuern, betonte Privatdozent Dr. Dr. Andrej Zeyfang, Medius Klinik Ostfildern-Ruit. Zwar funktionieren entsprechende Programme auch noch bei Hochbetagten, aber die Ergebnisse fallen naturgemäß schlechter aus. Außerdem erspart die frühe Intervention den Patienten schwere Zeiten, in denen sie immer mehr abbauen.

Mit altersbedingter Sarkopenie beginnt ein Teufelskreis
Einschränkungen in der Motorik und herabgesetzte Gehgeschwindigkeit sind zentrale Elemente der Gebrechlichkeit. Das liegt vorwiegend an der Muskulatur. Mit der altersassoziierten Sarkopenie tritt der Patient in einen Teufelskreis ein: Muskelschwund bewirkt Aktivitätsminderung bewirkt Stoffwechselreduktion bewirkt Appetitverlust bewirkt Mangelernährung bewirkt Muskelschwund. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zeigten Kernspinmessungen einen erheblichen Rückgang der Muskelmasse in wenigen Jahren. Von außen sah man den Patienten das kaum an, denn der Umfang der Extremitäten hatte sich nicht verändert – Fett hatte den Muskel ersetzt, so der Referent.

Fast 1000 über 70-Jährige mit Typ-2-Diabetes aus sieben Ländern
An MID-Frail haben fast 1000 über 70-jährige Patienten mit Typ-2-Diabetes aus sieben europäischen Ländern teilgenommen, die schon Anzeichen von Gebrechlichkeit erkennen ließen. Diverse Komorbiditäten von Hypertonus bis Osteoporose wiesen sie als klassisches geriatrisches Patientenkollektiv aus.

Die Interventionsgruppe absolvierte anfangs eine Ernährungsberatung und ein dreiteiliges Schulungsprogramm inklusive Motivationsprogramm, das die Studienautoren auf Basis der SGS* entwickelt hatten. Dann gab es 16 Wochen lang ein standardisiertes Gerätetraining bei 60–80 % des individuellen Leistungsmaximums (2 x 45 min/Woche). Die Kontrollgruppe erhielt Best Usual Care, wie es im jeweiligen Land üblich war.

Eine hoch signifikante Verbesserung
Nach einem Jahr – also neun Monate nach Ende der Intervention – fanden die Untersucher eine hoch signifikante Verbesserung im Performance-Test SPPB, der Balance, Gehgeschwindigkeit und Aufstehen aus dem Stuhl mit Punkten bewertet. Schon nach zehn Wochen war ein Unterschied zwischen den Gruppen erkennbar. Am Ende betrug die Diskrepanz nach Adjustierung fast 1 Punkt (bei maximal 15 Punkten, die im Test zu erreichen sind) und erreichte damit die Schwelle, ab der Mobilität und Lebensqualität signifikant steigen.

Viele der Studienteilnehmer trainieren eigenständig weiter
„Bewegung ist in der Altersmedizin das A und O“, betonte Dr. Zeyfang. Nach seiner Überzeugung schafft die Kombination aus Krafttraining, Schulung und Motivation die Voraussetzung für den Erfolg. Die Teilnehmer seien enttäuscht gewesen, als die Studie zu Ende ging. Viele trainieren inzwischen auf eigene Faust weiter.

Manuela Arand

*Strukturierte Geriatrische Schulung
1. Rodriguez-Mañas et al. J Cachexia Sarcopenia Muscle 2019; DOI:10.1002/jcsm.12432; 2. Fried et al. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001; 56: M146-M156

Diabetes Kongress 2019


Was ist Frailty?
Frailty – zu deutsch: Gebrechlichkeit – wird anhand von fünf Faktoren definiert:

  • Unfreiwilliger Gewichtsverlust (> 10 % in 1 Jahr oder > 5 % in 6 Monaten)
  • Objektivierte Muskelschwäche (z. B. Handkraftmessung)
  • Subjektive Erschöpfung (mental, emotional, physisch)
  • Immobilität, Instabilität, Gang- und Standunsicherheit mit Sturzneigung
  • Herabgesetzte körperliche Aktivität hinsichtlich Alltagsaktivitäten

Ab drei erfüllten Kriterien spricht man vom Frailty-Syndrom, bei ein bis zwei Kriterien von Pre-Frailty.

Bares Geld gespart
Patienten mit der MID-Frail-Intervention vor Gebrechlichkeit zu schützen, lohnt sich auch ökonomisch: Die Gesundheitskosten in der Interventionsgruppe lagen mit durchschnittlich 1766 Euro deutlich unter denen der Kontrollen mit 2194 Euro. Noch größer fiel der Unterschied aus, wenn nicht-medizinische Betreuungskosten mit ein- und die Kosten für die Intervention dagegen gerechnet wurden. Dann standen 1492 Euro gegen 2166 Euro: Ein qualitätsadjustiertes Lebensjahr kostet nach dieser Rechnung nichts, sondern spart 711 Euro.