Zuwendung ist oft der Schlüssel
Jena. Bei Diabetespatienten mit schlechter Stoffwechselkontrolle wird in der Regel die medikamentöse Therapie„hochgefahren“. Dabei hakt es oft ganz woanders, nämlich beim Selbstmanagement. Und an dieser Schraube lässt sich erfolgreich drehen, wie zwei Studien zeigen, die im Funktionsbereich „Endokrinologie/Stoffwechselerkrankungen“ der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Jena durchgeführt wurden. Dr. Christof Kloos erläutert die Relevanz der Studienergebnisse.
Sie konnten zeigen, dass sich die Stoffwechseleinstellung bei „Problempatienten“ optimieren lässt, ohne die medikamentöse Therapie zu intensivieren . . .
Dr. Christof Kloos: Ja, das ist richtig. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich aber erst einmal ganz klar sagen, von welchen Patienten wir sprechen. Wir sprechen von Patienten mit Diabetes, bei denen mit den üblichen Behandlungsstrategien im ambulanten Setting keine zufriedenstellende, stabile Stoffwechseleinstellung zu erzielen ist. Entweder lassen sich die Blutzuckerwerte nicht ausreichend absenken oder sie unterliegen starken Schwankungen und/oder es treten schwere Hypoglykämien auf. Viele dieser Patienten bekommen eine komplexe und damit störanfällige Therapie, und durch Multimorbidität ist die Situation nicht selten zusätzlich kompliziert.
Diese schwer zu führenden Patienten sind sozusagen die Spitze des Eisbergs, und sie brauchen aus unserer Sicht eine sehr intensive Betreuung in spezialisierten Zentren mit erfahrenen Teams. Die Mehrzahl der Patienten – und ich denke jetzt in erster Linie an die große Zahl von Patienten mit Typ- 2-Diabetes – ist bei Hausärzten und niedergelassenen Diabetologen sehr gut aufgehoben.
Für Patienten mit besonderer Problematik ist aus ihrer Sicht eine kurzfristige stationäre Betreuung sinnvoll und angezeigt . . .
Dr. Kloos: Ja, das ist aus meiner Sicht unstrittig und ich bin sehr froh, dass wir hier in Jena anbieten können, Patienten – falls erforderlich – für einige Tage stationär aufzunehmen. Die DRG-lastige Medizin hat ja leider dazu geführt, dass stationäre endokrinologische/diabetologische Strukturen in Deutschland weitestgehend weggebrochen sind.
Zentren mit entsprechender Expertise kann man inzwischen fast an einer Hand abzählen. Dadurch ist eine Versorgungslücke entstanden mit Blick auf Patienten, deren Stoffwechselprobleme sich nicht mal eben im Rahmen einer ambulanten Betreuung erschließen. In solchen Fällen ist es hilfreich, wenn nicht sogar notwendig, die Patienten einmal für ein paar Tage „live“ zu erleben.
Wie lange nehmen Sie die Patienten denn auf?
Dr. Kloos: Im Schnitt sind das sechs bis acht Tage. Die Begleitung der Patienten rund um die Uhr erleichtert es uns herauszufinden, wo genau im individuellen Fall das Problem besteht. In aller Regel ist nicht die medikamentöse Therapie der kritische Punkt, meistens hakt es beim Selbstmanagement, bei der Therapieanwendung und der Ernährung.
Und genau da müssen wir ansetzen. Während ihres stationären Aufenthalts erhalten die Patienten eine gezielte Schulung zu den kritischen Aspekten. Und wir überlegen gemeinsam mit den Patienten, wie es gelingen kann, dass sie die Therapieempfehlungen im Alltag besser umsetzen. Das ist mit intensiver Betreuung gemeint: Wir setzen uns sehr intensiv mit jedem einzelnen Patienten auseinander, suchen nach seinem individuellen Problem und anschließend nach Lösungen, die in seinem Lebensalltag praktikabel sind.
Was kann denn hinter einer schlechten Stoffwechseleinstellung stecken? Woran sollte man denken, bevor man an der medikamentösen Schraube dreht?
Dr. Kloos: Ganz häufig liegt es an der Ernährung beziehungsweise daran, dass Nahrungsaufnahme und Insulintherapie nicht richtig aufeinander abgestimmt werden. Besonders bei älteren Typ-2-Diabetespatienten ist das oft so. Die ausführliche Ernährungsanamnese ist ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb versuchen wir in der Klinik abzubilden, wie sich der Patient zu Hause ernährt. Der Patient bekommt also bei uns nicht ein vorgegebenes Essen serviert, sondern wir lassen ihn wählen. Und dabei fällt dann sehr häufig problematisches Ernährungsverhalten auf.
Oft handelt es sich bei den Typ-2- Diabetespatienten mit Stoffwechselproblemen um multimorbide Patienten, in deren Tagesablauf die Mahlzeiten eine der wenigen Abwechslungen sind. Einen solchen persönlichen Hintergrund muss man berücksichtigen, wenn man nach individuellen Lösungen sucht. Es ist nicht damit getan, dem Patienten zu sagen, wie idealerweise seine Ernährung aussehen sollte.
Die entscheidende Frage ist: Was kann der Patient realistischerweise leisten? Und auch die Lebensqualität der Patienten sollte man bei der Therapiekonzeption immer im Auge haben. Das genau ist die Kunst, hier eine Lösung zu finden, die sowohl den medizinischen Erfordernissen als auch der Lebenssituation des Patienten gerecht wird. Manchmal kann es hilfreich sein, Angehörige oder auch einen professionellen Pflegedienst einzubinden, um die Stoffwechselkontrolle zu verbessern. Das alles muss man im Einzelfall entscheiden.
Die Patienten bekommen also keine Gruppenschulung, sondern werden individualisiert geschult?
Dr. Kloos: Es ist richtig, dass sich die Schulung an der individuellen Situation ausrichten muss. Aber trotzdem nutzen wir die Effizienz der Gruppenschulung, bei der die Patienten wechselseitig von ihren Erfahrungen profitieren. Je lebhafter die Interaktion, desto höher ist der Gewinn. Der Lerneffekt ist dabei sehr viel nachhaltiger als wenn ein Arzt dieselben Botschaften kommuniziert.
Sie plädieren bei ausgewählten Patienten für ein strukturiertes Vorgehen im Rahmen eines kurzfristigen stationären Aufenthalts, wobei im Anschluss an die individuelle Problemanalyse eine gezielte Stärkung des Selbstmanagements erfolgt. Sie haben dieses Konzept ja auch evaluiert und können überzeugende Langzeiterfolge nachweisen.
Dr. Kloos: Ja, die Studienergebnisse bestätigen, dass dieses Konzept langfristig erfolgreich ist. Und sie unterstreichen die enorme, aber oft unterschätzte Bedeutung des Selbstmanagements. Wir waren bei allen Studienteilnehmern in der Lage, die Stoffwechselprobleme in den Griff zu bekommen, ohne die medikamentöse Therapie zu intensivieren. Auch konnten wir erstmals zeigen, dass sich durch eine strukturierte Intervention schwere Hypoglykämien bei gefährdeten Patienten vermindern lassen.
Wir neigen ja als Ärzte mitunter zu einer medikamenten- und technikzentrierten Weltsicht. In der Diabetologie wird im Moment sehr stark auf Messtechnik und Applikationstechnik fokussiert. Sicher sind Fortschritte aus dieser Richtung möglich. Aber man darf dabei nicht das Fortschrittspotenzial übersehen, das in einer Optimierung der Patientenbetreuung und Patientenführung steckt.
Ein gutes Selbstmanagement ist beim Diabetes mindestens so wichtig wie eine gute medikamentöse Therapie. Gutes Selbstmanagement setzt jedoch eine intensive „Beschäftigung“ mit dem Patienten voraus. Zuwendung – um dieses in der modernen Medizin eher selten gebräuchliche Wort zu benutzen – Zuwendung kann der Schlüssel zu einer besseren Diabetestherapie sein.
Interview: Ulrike Viegener
Typ-2-Diabetes-Studie: DTTP statt Insulinschraube
In einer Langzeitstudie ließ sich bei schlecht kontrollierten, insulinbehandelten Typ-2-Diabetespatienten allein durch Optimierung der Selbstmanagementkompetenz eine dauerhaft gute Stoffwechseleinstellung erzielen und schwere Hypoglykämien konnten reduziert werden.
Eingeschlossen in die offene, prospektive Studie wurden 81 insulinbehandelte Typ-2-Diabetespatienten mit nichtadäquater Stoffwechselkontrolle und/oder schweren Hypoglykämien in der Vorgeschichte. Fünf Patienten hatten im zurückliegenden Jahr schwere Hypoglykämien erlitten, einer insgesamt fünf Mal, die anderen jeweils einmal. Die Patienten wurden im Bereich Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Jena einige Tage stationär aufgenommen. Einem von Grüßer und Jörgens entwickelten, strukturierten Therapie- und Schulungsprogramm (Diabetes Teaching and Treatment Program, DTTP) folgend, führten die Studienautoren zunächst eine sehr genaue individuelle Problemanalyse durch. Anschließend erhielten die Patienten eine Schulung, die gezielt auf die ermittelten Schwachstellen im Selbstmanagement ausgerichtet war. Nach einem Jahr wurden die Patienten zu einem Kontrolltermin einbestellt, den 70 Patienten wahrnahmen.
Keine einzige schwere Hypoglykämie
Die 70 Patienten, die die Studie beendeten, waren – bei annähernd gleichem Geschlechterverhältnis – im Mittel 68,3 Jahre alt und ihr Diabetes bestand im Mittel 17,9 Jahre. Der HbA1c-Wert lag zu Beginn der Studie im Mittel bei 9,7 % und war nach einem Jahr um durchschnittlich 1,1 Prozentpunkte gesunken. Dieses Ergebnis wurde wohlgemerkt ohne Steigerung der Insulindosis erreicht (im Mittel 79,7 zu Beginn vs. 79,3 IU/Tag am Ende der Studie). Das mediane Körpergewicht zeigte im Verlauf der Studie keine Veränderung (BMI 33,6 vs. 33,8 kg/m²). Schwere Hypoglykämien wurden während des einjährigen Studienzeitraums in keinem einzigen Fall mehr beobachtet, die Patienten mit schweren Hypoglykämien in der Vorgeschichte eingeschlossen.
Kloos C et al. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2019; 127: 17
Typ-1-Diabetes-Studie:
ICT und CSII: DTTP verhilft zu besserer Kontrolle
Auch bei Typ-1-Diabetespatienten unter ICT bzw. CSII lässt sich durch Anwendung eines DTTP die Stoffwechselkontrolle verbessern. Das hat eine weitere, von der Jenaer Arbeitsgruppe durchgeführte Studie gezeigt.
Die etablierten DTTP für Typ-1-Diabetespatienten mit intensivierter Insulintherapie (ICT) wurden in den 1980er-Jahren entwickelt. In klinischen Studien wurden diese DTTP in der Regel an Patienten evaluiert, die bis dahin konventionell behandelt worden waren. Heute dagegen befinden sich die meisten Patienten zum Zeitpunkt der DTTP-Teilnahme bereits unter ICT und haben eine größere Selbstmanagementkompetenz. Studiendaten zum Nutzen von DTTPs unter diesen veränderten Konditionen fehlten lange Zeit.
In einer am Universitätsklinikum Jena durchgeführten Studie wurde ein von Berger et al. entwickeltes DTTP auf seinen Langzeitnutzen hin überprüft. Rekrutiert für die offene, prospektive Langzeitstudie wurden 109 Typ-1-Diabetespatienten, von denen etwa zwei Drittel mit ICT und ein Drittel mit CSII (Continuous Subcutaneous Insulin Infusion) behandelt wurden. Sie wurden für einige Tage stationär aufgenommen und nach einem Jahr nachbeobachtet. 90 Patienten nahmen am Follow-up-Termin teil. Die mittlere Diabetesdauer betrug 19,1 Jahre. Der mittlere HbA1c- Wert lag zu Beginn der Studie bei 7,9 %. Ziel der Intervention war eine verbesserte Stoffwechselkontrolle.
Blutzucker und Blutdruck sinken
Bei den 83 eingeschlossenen Langzeit-Diabetespatienten verbesserte sich der HbA1c-Wert im Mittel um 0,4 Prozentpunkte, ohne dass die Insulindosis (median 54 IU/Tag) verändert wurde. Der mittlere BMI blieb mit 26 kg/m² ebenfalls stabil. Bei anfangs schlecht Eingestellten (HbA1c ? 7,5 %) sank der HbA1c-Wert um 0,9 Prozentpunkte. Die Frequenz schwerer Hypoglykämien reduzierte sich im Studienzeitraum von 0,22 auf 0,05 Ereignisse pro Jahr.
Bei Patienten mit häufigen leichten Hypoglykämien ging deren Frequenz von 4,5 auf 2,8 pro Woche zurück. Auch der Blutdruck zeigte – bei gleichbleibender antihypertensiver Medikation – positive Veränderungen: Der systolische Wert nahm im Mittel um 6,5 mmHg ab und der diastolische Wert um 3,4 mmHg.