Mehr als nur kuscheln
Wiesbaden. Soziale Faktoren beeinflussen unser Essverhalten, was unter anderem mit der körpereigenen Ausschüttung von Oxytocin zusammenhängt. Wird das Hormon allerdings peripher verabreicht, wirkt es offenbar appetitsenkend, indem es die kognitive Kontrolle beim Essen fördert.
Das gern als „Kuschelhormon“ bezeichnete Oxytocin beeinflusst nicht nur unser Sozialverhalten: In Tierexperimenten zeichnet sich ab, dass der Botenstoff vielleicht ein appetithemmender Faktor sein könnte. „Oxytocinkonzentrationen sinken während des Fastens ab. Eine periphere Gabe reduziert die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht bei einer diätinduzierten Adipositas“, erklärte Professor Dr. Manfred Hallschmid vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie des Universitätsklinikums Tübingen.
Therapeutisch sei das sehr interessant, da sich bei einer Adipositas oft Resistenzen gegen anorexigene Signale entwickeln. Dazu zählen z.B. Hormone wie Leptin oder zentralnervöses Insulin, die die Nahrungsaufnahme hemmen.
Ob Oxytocin auch beim Menschen ähnliche Effekte provoziert, untersuchte ein Team um Prof. Hallschmid. Sie gaben 20 normalgewichtigen Männern 24 Einheiten Oxytocin über ein Nasenspray bzw. ein Placebo und dokumentierten anschließend ihr Essverhalten. Waren die Probanden hungrig, beeinflusste das Oxytocin ihre Nahrungsaufnahme nicht. Im gesättigten Zustand dämpfte das Hormon den Verzehr jedoch deutlich.
Erhöhte Hirnaktivität im Cortex
Verglich man die Ergebnisse normalgewichtiger und adipöser Männer, stellte sich heraus, dass letztere sogar stärker auf Oxytocin reagierten. Bei ihnen verringerte der Botenstoff die hungergetriebene Nahrungsaufnahme, die in dieser Gruppe ursprünglich etwas höher lag als bei den normalgewichtigen Teilnehmern. Auch das Snacken wurde noch stärker gedrosselt.
Um herauszufinden, in welchen Hirnstrukturen sich der appetitsenkende Effekt abbildet, untersuchte die Gruppe um Prof. Hallschmid Normalgewichtige per Magnetresonanztomographie. Wurden diesen hoch- bzw. niedrigkalorische Nahrungsbilder gezeigt, zeigte sich 40–55 min nach einer Oytocingabe eine erhöhte Aktivität im ventromedialen präfrontalen Cortex (vmPFC), im ventrolateralen präfrontalen Cortex (vlPFC) sowie im anterioren cingulären Cortex (ACC).
„Der vlPFC vermittelt eher so etwas wie die Valenz von Nahrung. Dass Oxytocin hier einen verstärkenden Effekt hatte, war für uns zunächst relativ überraschend“, erklärte der Neurobiologe. Dass vlPFC und ACC die kognitive Kontrolle über das Essverhalten regulieren, haben auch andere Forschende erkannt.1 Eine Gruppe aus Boston beispielsweise untersucht aktuell in einer Langzeitstudie, ob sich mit einer Dauergabe von Oxytocin das Gewicht bei Menschen mit Adipositas reduzieren lässt. „Dabei muss man natürlich verstärkt auf psychosoziale Nebenwirkungen achten,“ räumte Prof. Hallschmid ein.
Er wies zudem darauf hin, dass die bisherigen Studien im Einzelsetting durchgeführt wurden. „Meine Annahme ist, dass Kontextfaktoren noch eine große Rolle spielen. Es könnte durchaus sein, dass sich der Effekt im Gruppensetting etwas verändert.“
mg
1. Plessow F et al. Obesity 2021; 29: 56-61; doi: 10.1002/oby.23010
127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin