Komplexe Verflechtungen

ADA-Neuigkeiten aus Kardiologie, Hepatologie, Nephrologie, Inselzellforschung

ORLANDO.  Die klinische, die translationale und die Grundlagen­forschung in der Diabetologie sind geradezu explodiert. „Wer Diabetes versteht, hat eine umfassende Perspektive auf die ­gesamte Medizin“, meint Endokrinologin Dr. Vanita R. Aroda.

New Africa – stock.adobe.com

Für Dr. Vanita R. Aroda, Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA, gibt es „kein Organsystem bzw. keinen Zustand, der nicht von Diabetes beeinflusst wird“. Ein Trend, der sich im letzten Jahr besonders abgezeichnet habe, sei die Suche nach der Grundursache der Erkrankung. Das Wissen über die komplexe Verflechtung miteinander verbundener Gesundheitszustände habe zum Konzept des Cardiovascular-Kidney-Metabolic(CKM)-Syndrome der American Heart Association (AHA) geführt (s. Kasten). 

Molekulare Mechanismen beim CKM-Syndrom
Molekulare Mechanismen beim Cardiovascular-Kidney-Metabolic-Syndrom umfassen ein Spektrum miteinander verbundener Faktoren wie Hyperglykämie, Insulinresistenz, erhöhte RAAS-Aktivität (RAAS: Renin-Angiotensin-Aldosterin-System), Lipotoxizität, Bildung von AGEs (Advanced glycation end-products), oxidativer Stress, Stress des endoplasmatischen Retikulums, Störungen des Kalziumstoffwechsels, Störungen der Mitochondrienfunktion/der Energieproduktion und anhaltende chronische Entzündungen.

Dr. Aroda fasste die Highlights in den Bereichen Kardiologie und Hepatologie zusammen. Kardiologische Hochrisikopatient*innen könnten von den Erkenntnissen aus den klinischen Studien STEPHFpEF, SELECT und FLOW profitieren. Die diabetologischen Studiendaten der letzten Jahre hätten zu einer Bewusstseinsänderung in der Kardiologie geführt, die in den aktuellen Empfehlungen angekommen sei. Mit dem auf die Primärprävention ausgerichteten PREVENT Online Calculator werde ein weiterer Schritt hin zur Personalisierung des CVD-Risikos beschritten. Für die Therapie von Lebererkrankungen gab es positive Entwicklungen in den Phase-2-Studien MASH (mit dem dualen GLP1/Glukagon-RA Survodutid) und SYNERGY-NASH (mit dem dualen GIP/GLP1-RA Tirzepatid). Die Ergebnisse der Phase-3-Studie MAESTRO-NASH gipfelten in der FDA-Erstzulassung des leberspezifischen, beta-selektiven Thyroidhormonrezeptor-Agonisten Resmetirom bei fortgeschrittener Fettlebererkrankung. 

Die Nutzung von KI sei ebenfalls erfolgreich in der Diabetologie angekommen, u. a. bei Gestationsdiabetes und T1D. Der zunehmenden T2D-Prävalenz bei Kindern trügen die FDA-Neuzulassungen von Dapaglifozin und Empagliflozin Rechnung. 

Fortschritte in der translationalen Forschung
Dr. Mary-Elizabeth Patti, Joslin Diabetes Center, Boston, USA, stellte fest, dass es im Bereich der translationalen Forschung in 2023/2024 derart viele Entwicklungen gab, dass sie nur einige favorisierte Studien vorstellen könne. Darunter die noch in der Pipeline befindlichen therapeutischen Ansätze für metabolische Erkrankungen und zur Verbesserung der Körperzusammensetzung, Studien zur intestinalen Stoffwechselregulation, molekulare Ansätze bei der Analyse humaner Gewebe sowie Erkenntnisse zur Physiologie des Fastens aus der Proteomforschung. Der Erhalt der Betazellfunktion durch Immun- und andere Interventionen beim frühen T1D werde in klinischen Studien mit sehr ermutigenden Erfolgen adressiert. Zudem sei das Bewusstsein gestiegen, Disparitäten bei der Verfügbarkeit von Technologien zu beseitigen. 

„Mikro“ und „Makro“ sollten abgelöst werden
Makro- versus mikrovaskulare Komplikationen – diese Nomenklatur entspreche nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Sinnvoller sei die Einteilung in drei Bereiche: vaskuläre Gewebeerkrankungen, vaskulär-parenchymale Komplikationen und parenchymale Gewebeerkrankungen. In diesem Kontext erwähnte Dr. Patti ein neues Konzept von Risiko- und protektiven Faktoren. Da sich systemische Risikofaktoren, die Komplikationen auslösen, von jenen unterscheiden, die zum Fortschreiten beitragen, sei es sinnvoll, den Gewebetyp und das Stadium der Pathologie zu berücksichtigen.

Bezüglich T2D und Adipositas gebe es neben Agonisten in x-facher Kombination weitere Strategien, die untersucht werden. Darunter, derzeit noch präklinisch, das Molekül GLP1-MK-801, das an den GLP1-Rezeptor binde, diesen aktivieren kann und anschließend eine Inhibition des NMDA-Rezeptors bewirke. Eine weitere Strategie bestehe darin, mRNA als Therapie bei metabolischen Erkrankungen zu nutzen.  

Den Verlust von Muskelmasse aufhalten
Um den gleichzeitigen Verlust der fettfreien Masse bei einem z. B. durch Inkretine verursachten Gewichtsverlust aufzuhalten, sind Interventionen gefragt, die auf Muskelmasse-regulierende Stoffwechselwege abzielen. In vielen Studien der Phasen 1 bis 4 werden derzeit neben Myostatin diverse andere Zielmechanismen untersucht. Aus der Erforschung des Intestinums griff die Harvard-Dozentin beispielhaft einen „neuen Spieler in der intestinalen Regulation“ heraus, den appetitunterdrückenden Metaboliten N-Lactoylphenylalanin (Lac-Phe). Dieser steige durch Metformin signifikant an und könne möglicherweise als Mediator von Metformin dienen.

In einer eigenen Publikation beschreibt Dr. Patti, wie mithilfe der Einzelkern-RNA-Sequenzierung bei Menschen mit Adipositas neue regulatorische Gene der Adipogenese gefunden wurden. Ihre und andere Arbeitsgruppen befassten sich zudem mit der Expression des GIP-Rezeptors in Adipozyten und fanden dadurch Erklärungsansätze für die Wirksamkeit von dualen GLP1-GIP-Agonisten. 

Basisforschung an Inselzellen und Pankreas 
Dr. C. Bruce Verchere, University of British Columbia, Vancouver, Kanada, bekräftigte die Bedeutung der Grundlagenforschung, indem er auf die zentrale Rolle der Dysfunktionen der Inselzellen bei Diabetes verwies. „Worin liegen die genetischen und umweltbedingten Ursachen der Betazellfunktion und des Betazelltods bei T1D und T2D?“, diese zentrale Frage wird derzeit intensiv untersucht. Viele Arbeitsgruppen und Konsortien, die am Human Pancreas Analysis Program (HPAP) beteiligt sind, forschen derzeit am humanen Pankreas bzw. an Inselzellen.
Für Transplantationstherapien bei T1D werden Inselzellen aus humanen Stammzellen bereits in klinischen Studien untersucht, erklärte Dr. Verchere. Die Verwendung von 13C-markierten Substanzen zeigte, dass aus humanen Stammzellen gewonnene Betazellen zwar auf einen mitochondrialen aeroben Stoffwechsel angewiesen sind, aber bei der Insulinsekretion andere metabolische Stoffwechselmuster aufweisen als primäre humane Inselzellen. 

Die Erforschung des Beitrags der Betazelle an Autoimmunität und Krankheitspathologie bei T1D und in Bezug auf die genetischen Ursachen der Inselzelldysfunktion bei Suszeptibilität für T2D zeigten, wie erfolgreich die Basisforschung vo­ranschreite. Dr. Verchere verwies auf die offene Datenbank Human Islet Data Analysis and Sharing (HI-DAS, humanislets.com).

Dr. Karin Kreuel

ADA 2024