„Machen Sie doch mal Sport“ greift zu kurz

Mit Physiotherapie und Rehasport zu mehr Bewegung

BERLIN.  Wer Menschen zu körperlicher Aktivität ermuntern will, sollte nicht nur den Rezeptblock zücken, sondern auch deren falsche Glaubenssätze adressieren. Denn gerade bei Untrainierten gilt: Jeder Schritt zählt – und Kontinuität geht vor Intensität. 

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Die Physiotherapie genießt unter Ärzt*innen nicht immer den besten Ruf. Diese Erfahrung hat zumindest Physiotherapeutin Martha Bethge-Koch gemacht, die mit ihrem Ehemann, einem Orthopäden und Psychotherapeuten, in Wiesbaden eine gemeinsame Praxis betreibt. „Das ist doch eine Blackbox, Physio verschreibe ich nicht!“ sei ein typisches Vorurteil. Aber auch Sprüche wie „Da legen sie den Patienten eh nur auf den Bauch, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein!“ oder „Übungen kann ich auch selbst mitgeben – außerdem werden die sowieso nicht gemacht!“ bekommt sie öfter zu hören. 

Dabei sei insbesondere bei Menschen mit orthopädischen Grunderkrankungen, wie sie auch im Zusammenhang mit Diabetes oder Adipositas häufig auftreten, ein interdisziplinäres Vorgehen hilfreich. „Machen Sie doch mal Sport“ greife als Empfehlung zu kurz, „sogar Laufen, Schwimmen und Radfahren sind nicht bei allen Vorbefunden ideal“, betonte die Referentin. Pauschale Bewegungsempfehlungen passten nicht immer zum individuellen Befund. Funktionelle Diagnosen wie Veränderungen am Fußgewölbe, Senk- und Hohlfüße, Skoliosen oder funktionelle Beinachsenverschiebungen erforderten spezifische Trainingspläne, die am besten durch eine detaillierte Analyse, z. B. im 4D Motion Lab, erstellt werden könnten.

Falsche Glaubenssätze sind bei vielen ein Hindernis  
Bei Menschen mit der Diagnose Bewegungsmangel müsse man sich aber auch intensiv damit befassen, welche Hindernisse der körperlichen Aktivität auf anderer Ebene entgegenstehen. „Sie haben oft ein verändertes Körpergefühl und können z. B. Muskelkater gar nicht als solchen identifizieren“, sagte Bethge-Koch. Negative Coping-Strategien führten dann zur Überfokussierung, Katastrophisierung und letztlich Vermeidung von Schmerz. „Als Menschen scheuen wir unangenehme Gefühle, vor allem wenn wir Schmerz und Signale des Bewegungsapparats nicht einordnen können.“ Zudem seien falsche Glaubenssätze ein Hindernis, „etwa der Glaube, dass hohe Intensität besser ist als Kontinuität. Dabei schlägt Kontinuität immer Intensität.“ 

Bewegung verlangsamt Neurodegeneration
Menschen mit Diabetes haben bekanntlich ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz. „Bei Typ-2-Diabetes kann die chronische Inflammation zu Neurodegeneration und Insulinresistenz im Gehirn führen“, erklärte Professor Dr. Christian Brinkmann von der Sporthochschule Köln. Bewegung könne hier durch das Absenken von Entzündungsmarkern, verbesserte Durchblutung sowie die Bildung neuer Nervenzellen als Schutzfaktor wirken. Sein Fazit: „Körperliches Training kann nicht nur diabetesrelevante Parameter, sondern auch kognitive Funktionen positiv beeinflussen.“ 

Um Menschen zu motivieren, schrittweise Freude an Bewegung zu finden, regte Bethge-Koch an, über Ziele und Werte zu sprechen: „Wer und wie möchte ich sein? Welche Dinge in meinem Leben sind mir wichtig und lassen sich nur erreichen, wenn ich pfleglich mit meinem Körper umgehe?“ Möglich seien Veränderungen durch das Erlernen  weniger belastender Muster und Ankertrainings und gezielte Dehnungs- und Kräftigungsübungen. 

Den Anwesenden im Plenum gab sie  auch eine Bitte in eigener Sache mit auf den Weg: „Meiner Berufsgruppe wäre schon sehr geholfen, wenn Ärzte bereits vor der Verordnung die Physiotherapie framen als etwas, zu dem man mit Sportklamotten erscheint – und nicht etwas, wo man sich passiv auf den Bauch legt.“

Was bringt ambulanter Rehasport?
Einen geschützten Rahmen, in dem Menschen mit chronischen Erkrankungen an körperliche Aktivität herangeführt werden, bietet auch der ambulante Rehasport. Über dessen Stellenwert war man im Publikum und auf dem Podium allerdings geteilter Meinung. So zeigte sich der Sitzungsleiter Professor Dr. Gerhard Huber, Präsident des Deutschen Verbandes für Gesundheitssport und Sporttherapie, Heidelberg, skeptisch: „Es gibt nur wenig Evidenz für den Nutzen von Rehasport.“ Viele Patient*innen verblieben ohne nachhaltige Fortschritte jahrelang in Rehasportgruppen. 

Etliche Ärzt*innen aus dem Plenum hingegen berichteten über positive Erfahrungen mit Rehasportgruppen. Dies gelte insbesondere für Menschen mit Adipositas, die sich oft davor scheuen, zusammen mit sportlich durchtrainierten Leuten Sport zu treiben. Sie profitierten davon, mit anderen zu trainieren, die ebenfalls mehr Kilos auf die Waage bringen. Man war sich am Ende aber doch darüber einig, dass Rehasport dazu beitragen kann, Menschen mit Diabetes oder Adipositas in Bewegung zu bringen – als einer von verschiedenen Bausteinen. 

Antje Thiel

Diabetes Kongress 2024