Strategien im Kampf gegen Adipositas

Politischer Weitblick ist aussichtsreicher als Lebensmittel-Scores

MAINZ.  Leckere mediterrane Speisen mit Olivenöl können viszerales Fett schmelzen lassen – nicht nur in Studien, auch im realen Alltag. Dass Intervallfasten unter kontinuierlichem Glukosemonitoring auch bei insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes sicher und effektiv ist, zeigt eine Studie der Universität Graz.

Foto: weyo – stock.adobe.com

Die Risiken von Übergewicht und Adipositas werden in Europa immer noch weit unterschätzt. Deshalb ist für den Präsidenten der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG), Professor Dr. Jens Aberle, der Inhalt des WHO European Regional Obesity Report 20221 keine Überraschung: Laut dem Report sind beide Zustände für mehr als 1,2 Millionen Todesfälle in Europa verantwortlich – dies entspricht mehr als 13 % der hiesigen Gesamtsterblichkeit. Eine große, gepoolte Multi-Kohortenstudie ergab, dass Adipositas mit 21 sich nicht überschneidenden Erkrankungen assoziiert ist.2 

Fettarme Diäten? Ungeeignet für Abnahme und Prävention  
Darunter fallen kardiometabolische, Verdauungs- und Atemwegserkrankungen, außerdem neurologische, muskuloskelettale und infektiöse Erkrankungen. Im Vergleich zu Personen, deren BMI zwischen 18,5 und 24,9 kg/m² lag, zeigte nach rund zwölf Jahren Follow-up die confounderadjustierte Hazard Ratio für Menschen mit Adipositas (BMI ≥ 30,0 kg/m²) ein insbesondere für komplexe Multimorbidität stark erhöhtes Risiko (s. Abb.). Die Hazard Ratio (HR, Gefahren-Verhältnis) ist der Quotient aus den Gefahren von zwei Gruppen und gibt in diesem Fall an, um welche Rate die mit Adipostas assoziierten Erkrankungen in der Gruppe mit BMI > 30 kg/m² höher sind im Vergleich zur nicht adipösen Gruppe. „Diese Daten verdeutlichen noch einmal in ganz besonderem Maße, wie nachteilig die Adipositas für unsere Gesundheit ist“, betonte der Hamburger Adipositas-Experte. 

Ebenso wie die WHO ist Prof. Aberle
der Ansicht, dass erhebliche Anstrengungen erforderlich sind, um allgemein eine gesündere Lebensweise und mehr körperliche Aktivität zu erreichen. Ein aktueller Vergleich3 zwischen der Entwicklung des durchschnittlichen Zuckergehalts bei Softdrinks zwischen Deutschland und Großbritannien zeigt, wie stark politische Lenkungsmaßnahmen wirken können: Während die Selbstverpflichtung zur Zuckerreduktion in Deutschland nur wenig Effekt zeigt, sank in Großbritannien der Zuckergehalt von Softdrinks direkt nach der Ankündigung der Einführung einer Herstellerabgabe drastisch ab.

Neuere Studien, in denen Lebensstilinterventionen in unterschiedlichen Stadien des Typ-2-Diabetes durchgeführt wurden, zeigen durchgehend ausgeprägte positive Effekte. „Insbesondere der eHealth-Ansatz könnte von besonderer Bedeutung sein, da hierbei keine personellen Ressourcen in ärztlichen Praxen genutzt werden“, konstatierte Prof. Aberle. Aber welche Ernährungsform ist wirklich zur (Sekundär-)Prophylaxe von kardiovaskulären Ereignissen geeignet? In der randomisierten Langzeitstudie CORDIOPREV wurde eine mediterrane mit einer fettarmen Ernährung bei rund 1.000 Personen mit etablierter koronarer Herzkrankheit über einen Zeitraum von sieben Jahren verglichen.4 Das klinisch relevante Ergebnis: In der Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen ist eine mediterrane einer fettarmen Diät bei der Prävention schwerer kardiovaskulärer Ereignisse überlegen. 

Da Olivenöl in der mediterranen Ernährung eine große Rolle spielt, wurde in zwei großen US-amerikanischen Kohorten untersucht, inwieweit der Verzehr dieses Öls mit der Gesamt- bzw. der ursachenspezifischen Sterblichkeit zusammenhängt. Die prospektiv erhobenen Daten zeigen eine deutliche Assoziation einer höheren Olivenölzufuhr sowohl mit einer geringeren Gesamtmortalität als auch mit einem deutlich niedrigeren Sterblichkeitsrisiko bei neurodegenerativen Erkrankungen (-29 %), bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (-19 %), bei Atemwegserkrankungen (-18 %) und bei Krebs (-17 %). Der Ersatz von 10 g Margarine, Butter, Mayonnaise bzw. Milchfett pro Tag durch die gleiche Menge Olivenöl war in Substitutionsanalysen mit einem um 8 bis 34 % geringeren Sterberisiko verbunden. 

Mediterrane Kost: zu empfehlen, aber noch optimierbar
Ergänzend dazu habe man in „Dietary Intervention Randomized Controlled Trial PoLyphenols UnproceSsed“ (DIRECT-PLUS)5 zeigen können, dass eine mit Polyphe-nolen angereicherte mediterrane Ernährung mit einer geringen Zufuhr von rotem und verarbeitetem Fleisch förderlich im Hinblick auf die Rückbildung von viszeraler Adipositas sein kann, erläuterte Prof. Aberle. Die Studienlage zeige, dass eine fettarme Kost weder zur Gewichtsabnahme noch zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen geeignet sei. Dagegen seien mediterrane Ernährungsformen aus präventiver Sicht zu empfehlen, aber durchaus optimierbar. Olivenöl, das durch den Nutri-Score lediglich mit D oder E bewertet wird, spiele dabei eine ganz wichtige Rolle. „Der Druck aus der Nahrungsmittelindustrie im Hinblick auf Low-Fat-Produkte ist jedoch sehr groß. Gleichzeitig sehen wir – wie bereits letztes Jahr beim Diabetes Update berichtet –, dass der Nutri-Score eher eine Realsatire als ein Leitfaden hin zu einer gesunden Ernährung ist“, betonte er. 

Intervallfasten: Studien zeigen hohe Effektivität
Neben den erwähnten, sehr aufwendigen Interventionsstudien zeigen mehrere im vergangenen Jahr veröffentlichte Real-World-Ernährungsstudien erfolgreiche Lebensstilinterventionen auch in der klinischen Routine bei Typ-2-Diabetes. In diesen Studien wurde allerdings vor allem der Einsatz von Formula-Diäten untersucht. Bei Gestationsdiabetes spricht eine kleine, offene, randomisierte zwölfwöchige Studie dafür, dass eine Lebensstiländerung mit moderater Intensität bei gefährdeten Frauen in der Frühschwangerschaft das relative Risiko für GDM um 41 % senken kann.6  

Im Hinblick auf intermittierendes Fasten sprechen neue randomisierte Studien dem eine hohe Effektivität zu, dabei komme es jedoch auf den Zeitraum des Fastens an, erläuterte der Referent. Dieser sollte zwischen 12 und 16 Stunden betragen – bei früheren Studien war die Fastenzeit häufig deutlich kürzer. „Intermittierendes Fasten kann auch Abwehrmechanismen des Körpers und Entzündungsreaktionen beeinflussen.“  

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, die ein HbA1c ≥ 7,0 % aufweisen und täglich mindestens 0,3 Einheiten Insulin pro kg Körpergewicht benötigen, kann intermittierendes Fasten wichtige medizinische Parameter verbessern. Das zeigte die zwölfwöchige, offene, randomisiert-kontrollierte Studie INTERFAST-2 mit 22 Frauen und 24 Männern (mittleres Alter 63 ± 7 Jahre, BMI 34,3 kg/m², HbA1c 8,3 % bzw. 8,3 ± 1,1 mmol/mol, Insulintagesdosis 56 ± 27 IE).7 In der Interventionsgruppe wurden montags, mittwochs und freitags jeweils nur 500 kcal innerhalb von sechs Stunden verzehrt (entsprechend 25 % der üblichen Kalorienmenge). Das Basalinsulin wurde an diesen drei Tagen um 20 % reduziert, das Bolusinsulin weggelassen. 

In der Fastengruppe zeigten sich deutliche, jeweils signifikante Vorteile gegenüber der Kontrollgruppe: Gewichtsabnahme (-4,8 % vs. +0,2 %), HbA1c-Reduzierung (-7,3 ± 12,0 vs. +0,1 ± 6,1 mmol/mol) und reduzierter Insulinbedarf an Nicht-Fastentagen (-9 ± 10 vs. +4 ± 10 I.E.). Über den gesamten Studienverlauf traten keine schweren Hypoglykämien auf. 

Dr. Karin Kreuel

Diabetes Update 2023 

Literatur:
1. World Health Organization (WHO) 2022. www.who.int/europe/publications/i/item/9789289057738
2. Kivimäki M et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2022; 10(4):253-263; doi: 10.1016/S2213-8587(22)00033-X
3. von Philipsborn P et al. Ann Nutr Metab 2023; doi: 10.1159/000529592
4. Delgado-Lista J et al. Lancet 2022; 399 (10338): 1876-1885. doi: 10.1016/S0140-6736(22)00122-2
5. Zelicha H et al. BMC Med 2022; 20(1): 327; doi: 10.1186/s12916-022-02525-8
6. Sadiya A et al. BMC Pregnancy Childbirth 2022; 22(1): 668; doi: 10.1186/s12884-022-04972-w
7. Obermayer A et al. Diabetes Care 2023; 46(2): 463-468; doi: 10.2337/dc22-1622