Wie gelingt die Adipositas-Therapie als Regelleistung?
BERLIN. Keine andere chronische Erkrankung, die so weit verbreitet ist, ist dermaßen unterversorgt wie Adipositas, beklagen die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und die DDG. Die Hoffnung, dass sich das mit einem neuen DMP ändern wird, ist groß. Doch es gibt auch noch viele Bedenken.
Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe der diabetes zeitung, aber noch vor ihrem Erscheinen, wurde der G-BA-Beschluss zum DMP Adipositas erwartet. Wobei bis Mitte Oktober unklar war, ob überhaupt „Menschen mit Adipositas“ – hierzulande ca. 16 Millionen – Zugang zum neuen Programm erhalten oder zunächst nur Menschen teilnehmen dürfen, bei denen zusätzlich Begleit- oder Folgeerkrankungen vorliegen. DDG und DAG befürchteten: Wenn Betroffene bereits Folgeschäden vorweisen müssen, um am DMP teilnehmen zu dürfen, wird die zentrale Zielsetzung, Folgeschäden zu vermeiden, unmöglich.
Außerdem ist zu beachten: Auch nach Inkrafttreten eines solchen Beschlusses dauert es mindestens ein Jahr, bis auf regionaler Ebene DMP-Verträge zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen(-verbänden) geschlossen worden sind, die eine Umsetzung in den Praxen ermöglichen.
Defizitäre Versorgungslage grundlegend verbessern
Beispiel DMP Osteoporose: Das gibt es nur in Schleswig-Holstein, seit Oktober 2023 können Patient*innen darin betreut werden. Der G-BA hatte seinen DMP-Beschluss im Januar 2020 veröffentlicht. „Es bleibt zu hoffen, dass das DMP Adipositas nicht dasselbe Schicksal ereilt“, notieren Prof. Dr. Jens Aberle, Prof. Dr. Matthias Blüher und Oliver Huizinga für die DDG und die DAG in einem Beitrag im „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2024“. Sie unterstreichen: Die Einführung eines DMP Adipositas „stellt zweifelsohne einen Paradigmenwechsel dar“, denn das ist der Einstieg in die Regelversorgung. Erstmals könnten einige Versicherte prinzipiell Anspruch auf ein niedrigschwelliges Behandlungsangebot in Form von Patientenschulungen erhalten. Mit dem gesetzlichen Auftrag für das DMP habe der Bundestag 2021 den Weg geebnet, die defizitäre Versorgungslage grundlegend zu verbessern.
Die drei Autoren betonen aber auch: Die Effektivität eines DMP hängt erheblich von den Therapieoptionen ab und damit von rechtlichen Rahmenbedingungen sowie vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Erst wenn die leistungsrechtlichen Limitationen überwunden seien, könne eine leitliniengerechte, evidenzbasierte und bedarfsorientierte Versorgung für Menschen mit Adipositas im Rahmen eines DMP sichergestellt werden. Eine Versorgung, die zwar Patientenschulungen und DiGA beinhalten könne, aber keine multiprofessionelle, leitliniengerechte Therapie abbilde, sei nur ein „DMP light“.
Das DMP Adipositas sollte für den Gesetzgeber und den G-BA Anlass sein, den Zugang zu evidenzbasierten Behandlungsmethoden der Adipositas grundlegend neu zu regeln und das DMP im nächsten Schritt zu erweitern bzw. zu überarbeiten, meinen die DDG- und DAG-Experten. Die Fachgesellschaften werden sich daher „weiterhin gemeinsam dafür starkmachen, perspektivisch eine leitliniengerechte Versorgung der Menschen mit Adipositas in Deutschland zu etablieren“.
Michael Reischmann