„Eine Tagung sollte ein Schmelztiegel der Protagonisten sein“

Das Programm der Diabetes Herbsttagung soll allen etwas bieten

LANDAU IN DER PFALZ/LEIPZIG.  Jüngere und Ältere, Menschen aus den Edukationsberufen und aus der Ärzteschaft – sie alle treffen sich zur Herbsttagung in Hannover und für alle wird das Programm, das Dr. Dorothea Reichert und Dr. Tobias Wiesner mitgestaltet haben, etwas bieten. Hier erklären sie, was für sie eine gelungene Tagung ausmacht, was sie von den Reformen im Gesundheitswesen halten und was ihr Tagungshighlight ist. 

Strategietagung DDG am 7. November 2019 in Leipzig
DDG/Dirk Michael Deckbar

Frau Dr. Reichert, Herr Dr. Wiesner, was macht für Sie einen gelungenen Kongress aus?
Dr. Wiesner:
Ein Kongress muss lebendig und persönlich sein. Man sollte viel mit nach Hause nehmen und sagen können: Da habe ich etwas gelernt und tolle Gespräche gehabt. 
Dr. Reichert: Das stimmt. Auch der Erfahrene soll nach Hause gehen und sich bestärkt fühlen in seinem Handeln. Und die Jungen sollen das Gefühl haben, dass sie in die Diabetologie hineinwachsen können und dass es toll ist, zu dieser Gemeinschaft zu gehören. Genau so ging es mir in den 90er-Jahren. Ich würde mir wünschen, dass uns das bei den Jungen gelingt und dass die Alten weiterhin gerne kommen.
Dr. Wiesner: Genau deshalb gehen wir ja heutzutage auf Kongresse – um zusammenzukommen. Jüngere und Ältere, Menschen aus Edukationsberufen und Ärzte. Ein Kongress oder eine Tagung sollte ein Schmelztiegel der diversen Protagonisten im System sein. 
Dr. Reichert: Gerade das macht ja die Diabetes Herbsttagung aus. 

Die Jungen aus der AG Nachwuchs engagieren sich stark bei den DDG Veranstaltungen …
Dr. Wiesner:
Das finde ich toll. Dorothea und ich versuchen natürlich, die alten Wilden zu sein, und wollen, dass die jungen Wilden noch wilder sind als wir. Grundsätzlich sind die Jungen ja die Zukunft. Wir müssen den jungen Kollegen eine Plattform bieten. Mir hat mal jemand gesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir die jungen Kollegen gut ausbilden, denn wir brauchen auch mal jemanden, der uns behandelt. 
Dr. Reichert: Ich habe das zu 100 Prozent erledigt, denn mein Sohn ist ein junger Wilder. 

Das Motto der Herbsttagung lautet: Der Mensch im Mittelpunkt. Können Sie das näher erläutern? 
Dr. Reichert: Wir möchten den Menschen mit all seinen Facetten in den Mittelpunkt stellen – sowohl diejenigen, die Menschen behandeln, als auch diejenigen, die Hilfe brauchen. Wir versuchen, alle mitzunehmen, und wenn ich unser Programm ansehe, glaube ich, dass das gar nicht so schlecht gelungen ist.
Dr. Wiesner: Manchmal hat man das Gefühl, dass bei Kongressen die Krankheit oder Facetten der Krankheit in den Mittelpunkt gestellt werden. Unsere Idee ist, das einfach umzudrehen und das Team in den Mittelpunkt zu nehmen. Zum Team gehört auch der Patient, deswegen: „Der Mensch im Mittelpunkt“.

Schauen wir auf die Reformen im Gesundheitswesen. Mitte September gab es eine vom BVND initiierte Aktion: 90.000 Unterschriften wurden an das Bundesgesundheitsminis­terium übergeben. Was fordern Sie?
Dr. Wiesner:
Die Reformen im Gesundheitssystem sind notwendig. Dafür sind einige Gesetze auf den Weg gebracht worden, sicherlich mit den besten Absichten. Aber darin finden sich handwerkliche Fehler, z. B. beim GVSG, dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, auch Entbudgetierungsgesetz genannt. Es soll dafür sorgen, dass die Kollegen im hausärztlichen Bereich alle Leistungen vergütet bekommen, die sie erbringen. Dabei ist man davon ausgegangen, dass ein Patient nur einen Hausarzt hat. Aus der Tradition heraus ist es aber so, dass der Großteil der Diabetologen auf hausärztlichen Sitzen tätig ist und neben einer hausärztlichen Versorgung auch eine spezifische diabetologische Schwerpunktversorgung anbietet – mit höherem personellem, technologischem und organisatorischem Aufwand. 
Die Prämisse: ein Hausarzt, ein Patient gleich eine Pauschale wäre im hausärztlichen Bereich der Tod unserer Schwerpunktpraxisversorgung gewesen. Wir haben also eine digitale Petition gestartet, die 90.000 Menschen unterschrieben haben. So sind wir sehr gut ins Gespräch gekommen mit Herrn Dr. Weller aus dem Bundesgesundheitsministerium und mit dem Gesundheitsausschuss. Trotzdem hängt immer noch so ein bisschen das Damoklesschwert über uns: Wir befinden uns im parlamentarischen Prozess, und es muss im Bundestag dafür gesorgt werden, dass eine Ergänzung des Gesetzentwurfs uns Schwerpunktpraxen weiterhin die Existenz ermöglicht. 

Was antworten Sie, wenn Sie von jungen Menschen gefragt werden, was für die Diabetologie spricht?
Dr. Reichert:
Man hat es von Kopf bis Fuß mit Menschen zu tun; man lernt die Menschen kennen und lernt ganz viel von ihnen. Man hat teil an ihrem Leben. Diese Teilhabe macht das Fach so spannend, und ich kann es jedem empfehlen, der bereit ist, sich auf Menschen einzulassen. 
Dr. Wiesner: Wenn man gerne sprechende Medizin machen möchte, ist Diabetologie genau das richtige Fach. Diabetologie hat aber auch viel mit Technologie zu tun, und wir haben viele therapeutische Optionen, auch bei den Medikamenten. Es ist ein extrem schnelles und unendlich spannendes und breites Feld. Insofern kann man den jungen Kollegen nur sagen: Wenn Ihr sprechen wollt und nicht Medizin studiert habt, um Labormediziner zu werden, dann macht Diabetologie! 
Dr. Reichert: Wir sprechen aber nicht nur! Ich bin jemand, der gerne mit dem Skalpell arbeitet, und das ist in unserer Fußambulanz jeden Tag möglich. In der Diabetologie spannen wir den Bogen von der Chirurgie bis zu Forschung. Das ist unglaublich spannend, und ich kann mir im Nachgang nichts anderes  vorstellen als die Diabetologie. 

Jetzt bitte noch ein Tipp für die Herbsttagung: Was ist Ihr persönliches Highlight im Programm?
Dr. Wiesner:
Für mich ist es die Eröffnungsveranstaltung. Den Vortrag  hält Professor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er ist einer der führenden Paläogenetiker und wird aus der Sicht seines Fachs erläutern, woher wir kommen, wohin wir gehen – und warum wir so sind, wie wir sind. Stolz bin ich natürlich auch auf die 18 Workshops, in denen Menschen ihre Skills mit anderen teilen. 
Dr. Reichert: Die Eröffnungsveranstaltung ist auch mein Highlight, aber auch auf den Gesellschaftsabend freue ich mich sehr. Mein ganzes Team ist dabei, und ich hoffe, dass dann schon ein bisschen Anspannung von uns abgefallen ist und wir miteinander feiern können, dass es eine gelungene Tagung ist. 

Neugierig auf mehr? 
Dann hören Sie sich das gesamte Interview in voller Länge als Folge des Podcasts O-Ton Diabetologie an und erfahren Sie noch mehr über die Tagung und ihre Schwerpunkte, die Petition des BVND und die Stimmung in den Praxen: https://www.medical-tribune.de/news/podcasts-der-medical-tribune-im-ueberblick/o-ton-diabetologie (Folge 49 vom 30.10.2024) 
Alle Folgen von O-Ton Diabetologie finden Sie zudem auf den gängigen Podcast-Plattformen.

Interview: Günter Nuber und Nicole Finkenauer