Verschlechterung ist kaum aufzuhalten
AURORA. Eine wesentliche Herausforderung bei der Therapie des Typ-2-Diabetes ist die progrediente Verschlechterung der Betazellfunktion. Eine Auswertung von Daten der GRADE-Studie zeigt nun, dass die im Rahmen der randomisierten Unter-
suchung getesteten Substanzklassen diesen Prozess nicht aufhalten können.
Menschen mit Typ-2-Diabetes büßen jährlich zwischen fünf und zehn Prozent ihrer Betazellfunktion ein, berichtet Dr. Neda Rasouli von der Abteilung für Endokrinologie, Metabolismus und Diabetes an der University of Colorado. Um die Blutzuckerkontrolle langfristig zu gewährleisten, sind daher regelmäßig Therapieeskalationen unumgänglich. In der GRADE-Studie waren vier verschiedene Klassen von Antidiabetika in Kombination mit Metformin hinsichtlich der langfristigen glykämischen Kontrolle verglichen worden.
Vergleich von vier Klassen von Antidiabetika
Hierbei handelte es sich um Insulin glargin, den Sulfonylharnstoff Glimepirid, den GLP1-Rezeptoragonisten Liraglutid sowie den DPP4-Hemmer Sitagliptin. Jeder Therapiearm umfasste mehr als 1.250 Personen. Die Teilnehmenden waren im Schnitt 57 Jahre alt, lebten seit durchschnittlich vier Jahren mit Typ-2-Diabetes und wiesen trotz Metformin-Monotherapie HbA1c-Werte zwischen 6,8 und 8,5 % auf. Nach einer Nachbeobachtungszeit von durchschnittlich fünf Jahren schnitten Insulin glargin und Liraglutid im Hinblick auf das Erreichen und Halten des HbA1c-Zielwerts leicht, jedoch statistisch signifikant besser ab als Glimepirid und Sitagliptin.
Die vier Wirkstoffe senken den Blutzuckerspiegel auf unterschiedliche Weise, so Dr. Rasouli: Während Insulin glargin exogenes Insulin zur Verfügung stellt, stimulieren Glimepirid und Liraglutid die Insulinsekretion, wohingegen Sitagliptin und Liraglutid die Inkretinwirkung verstärken und Liraglutid den Appetit und das Gewicht modifiziert.
Angesichts dessen ging sie gemeinsam mit ihrem Forschungsteam nun der Frage nach, ob die verschiedenen Substanzen die Insulinsensitivität, die Betazellantwort und die Betazellfunktion in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen. Hierzu analysierten die Forschenden metabolische Daten von 4.801 Studienteilnehmenden. Die Insulinsensitivität und die Betazellfunktion im Nüchternzustand objektivierten sie dabei zu Studienbeginn und nach einem Jahr sowie nach drei und fünf Jahren Therapie mithilfe des Homeostasis Model Assessment (HOMA2-%S bzw. HOMA2-%B). Die Antwort der Betazellen auf den oralen Glukosetoleranztest erfassten sie anhand der frühen sowie der Gesamtantwort des C-Peptids.
Klares Fazit nach fünf Studienjahren
Das Ergebnis: In allen vier Studienarmen nahmen – begleitend zur Verschlechterung der glykämischen Kontrolle – die Betazellantwort und die Betazellfunktion im Zeitverlauf ab. Nach einem Jahr stellten die Forschenden den niedrigsten HbA1c-Wert in der Liraglutid-Gruppe fest. Nach fünf Jahren unterschieden sich die vier Gruppen bezüglich des HbA1c-Werts jedoch nicht mehr. Die Insulinsensitivität nahm innerhalb des ersten Jahres unter Insulin glargin zu und blieb anschließend stabil.
In den anderen drei Behandlungsgruppen veränderte sich die Insulinsensitivität dagegen im Studienverlauf nicht wesentlich. Im Hinblick auf die frühe Betazellantwort schnitten Sitagliptin und Liraglutid am besten ab. Die Gesamtantwort des C-Peptids war mit Liraglutid am stärksten, gefolgt von Sitagliptin, Insulin glargin und Glimepirid.
Können andere Substanzklassen die Betazellfunktion erhalten?
Trotz unterschiedlicher Wirkmechanismen sind weder Insulin glargin noch Glimepirid, Liraglutid oder Sitagliptin in der Lage, bei Menschen mit Typ-2-Diabetes die Verschlechterung der Betazellfunktion zu verzögern oder aufzuhalten, so das Fazit der Autor*innen. Hier sehen sie erheblichen Forschungsbedarf: Perspektivisch sei zu klären, welche anderen Substanzklassen oder Wirkstoffkombinationen die Betazellfunktion langfristig erhalten können.
Dr. Judith Lorenz
Rasouli N et al. Diabetes Care 2024; 47: 580-588; doi: 10.2337/dc23-1070