Diabetes trotz Normalgewicht

Individuelle Speicherkapazität des Fettgewebes ist das Problem

NEWCASTLE UPON TYNE.  Nicht jeder Typ-2-Diabetes geht zwingend mit einer Adipositas einher: Bei etwa einer von sechs Neudiagnosen liegt ein normaler oder nahezu normaler BMI vor. Diese Menschen profitieren vermutlich dennoch von einer 
Gewichtsabnahme, wie eine britische Untersuchung zeigt.

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Die „Hypothese der persönlichen Fettschwelle“ (engl. personal fat threshold hypothesis) postuliert eine vom BMI unabhängige Ätiologie des Typ-2-Dia­betes, erläutert Professor Dr. Roy Taylor von der Newcastle University. Gemäß dieser Theorie variiert die Speicherkapazität des subkutanen Fettgewebes von Mensch zu Mensch. Ein Typ-2-Diabetes manifestiert sich dann, wenn das Fettgewebe eines Individuums – unabhängig von dessen Body-Mass-Index (BMI) – nicht mehr in der Lage ist, die anfallenden Triglyceride vollständig aufzunehmen: Die Störung des Zuckerstoffwechsels ist dann das Resultat der Akkumulation von Leberfett, des exzessiven hepatischen Fettexports sowie der übermäßigen Exposition der Betazellen gegenüber dem Lipidüberschuss. 

Gibt es die persönliche Fettschwelle?
Gemeinsam mit weiteren internationalen Forschenden überprüfte Prof. Taylor nun die Hypothese an einem Kollektiv von 20 Erwachsenen mit einem seit kürzer als sechs Jahren bestehenden nicht insulinbehandelten Typ-2-Diabetes und einem BMI zwischen 21 und 27 kg/m2.

Die Studie sollte klären, ob eine Gewichtsabnahme auch bei einem normalen bzw. nahezu normalen BMI zu einer Diabetesremission führt und welche metabolischen Veränderungen dabei auftreten. Die zwischen 20 und 70 Jahre alten Studienteilnehmenden absolvierten zwei (bei anhaltend erhöhtem HbA1c-Wert optional drei) Diätinterventionen mit dem Ziel einer raschen, schrittweisen Gewichtsabnahme um 5 %. Während der jeweiligen Phasen mit stabilem Körpergewicht unterzogen die Wissenschaftler*innen sie einer Reihe metabolischer Tests. Nach einem Jahr absolvierten die Studienteilnehmenden die Untersuchungen erneut. 

Um zu klären, wie stark sich ihre metabolischen Parameter dem Normalbefund angenähert hatten, rekrutierte das Forschungsteam 20 normoglykämische Kontrollen, die den Studienteilnehmenden mit Diabetes bezüglich des Geschlechts, des Alters und des postinterventionellen Gewichts bestmöglich ähnelten. Diese absolvierten ebenfalls alle genannten Untersuchungen. 

Nach zwölf Monaten hatten der BMI und der Gesamtkörperfettgehalt der Menschen mit Typ-2-Diabetes signifikant abgenommen. Auch die anderen Stoffwechselparameter erreichten nach zwölf Monaten Normalwerte. Die postprandiale Insulinsekretion nahm zwar im Studienverlauf zu, blieb aber bis zum letzten Untersuchungszeitpunkt unterdurchschnittlich. Eine dauerhafte Diabetesremission, definiert als HbA1c-Wert < 48 mmol/mol (6,5 %) ohne Antidiabetika, gelang bei 14 Patient*innen (70 %). Die hierfür notwendige Gewichtsabnahme betrug im Median 6,5 % (Variationsbreite 5,5 bis 10,2 %).

Fazit der Studie: Grund für Diabetes ist Überernährung
Prof. Taylor sieht die Hypothese der persönlichen Fettschwelle bestätigt: Nicht nur übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes, sondern auch normal- oder nahezu normalgewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes profitieren von einer Gewichtsabnahme. Unabhängig vom BMI setze sie an denselben Pathomechanismen an: Sie reduziere die intrahepatischen Fettdepots und den Leberfettexport, was die Betazellen entlaste und zu glyk­ämischen Verbesserungen bis hin zur Diabetesremission führe. Der Typ-2-Diabetes ist unmittelbar auf eine Überernährung zurückzuführen, so sein Fazit, und damit potenziell reversibel: durch eine diätetisch gesteuerte Gewichtsabnahme bis zum Unterschreiten der individuellen Fettschwelle. Diese neuen Erkenntnisse haben erhebliche Auswirkungen auf das klinische Management und die zukünftige wissenschaftliche Forschung, meint er. 

Dr. Judith Lorenz

Taylor R et al. Clin Sci (Lond) 2023; 137: 1333-1346; doi: 10.1042/CS20230586